Süddeutsche Zeitung

Fünf Favoriten der Woche:Ohne Fußball und Disco

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Omikron twittert jetzt, die "Antilopen-Gang" rappt über Impfgegner und wem das alles zu viel ist, der kann sich ja mal wieder zu "Tod auf dem Nil" gepflegt den Schnurrbart zwirbeln. Die Empfehlungen der Woche.

Von SZ-Autorinnen und -Autoren

"Tod auf dem Nil"

Männer, die sich den Schnurrbart zwirbeln, Zigarillos rauchen und sich mit einem Stofftaschentuch den Schweiß von der Stirn tupfen, sieht man im Kino heute höchstens noch als Triebtäter. Dieses Auftreten ist ein klein wenig aus der Mode gekommen. Wenn man sich in den ersten Januartagen aber von der nassgrauen Neujahrsdepression ablenken will, kann ein altes Musterexemplar dieser Art Mann dabei helfen: Peter Ustinov als Hercule Poirot. Er verkörpert die Urform des Homo detectivus im Kino, und sein sonniger Klassiker "Tod auf dem Nil" (1978) kommt am 4. Januar nochmal als Wiederaufführung genau da hin: ins Kino. Eine Agatha-Christie-Verfilmung, die man sich jedes Jahr wieder anschauen kann, weil sie dermaßen aus der Zeit gefallen ist, dass sie die wohlige Wärme alter Klassiker verkörpert wie nur wenige andere Filme. Und weil man merkwürdigerweise jedes Jahr vergisst, wer der Mörder ist. David Steinitz

Chanson Bohème

Über das wahre Geheimnis der Viola, dieser Königin in allen Schattenreichen, hat einer der größten lebenden Bratschisten, Yuri Baschmet einmal gesagt, die Viola sei weder männlich noch weiblich. Sie sei die Stimme aus einer anderen Welt. Doch dass sie auch ganz diesseitig, gar mondän und pure Eleganz sein kann, zeigen der glänzende französische Violaspieler Adrien La Marca, Jahrgang 1989, mit seiner Klavierpartnerin Danae Dörken auf ihrem gemeinsamen Album "Chanson Bohème" (La dolce Volta). Das ist nicht einfach eine allgefällige, wenn auch beeindruckende Reihe von Zugabe-Stücken geworden. Die Bratsche ist zu erleben als Instrument von Intimität und Innigkeit; von edler Melancholie und einer betörend unaufdringlichen Eleganz: bei Brahms' Liebesliederwalzer oder Tschaikowskys Valse sentimentale, Dvořáks "Lieder, die meine Mutter mich lehrte" oder Francis Poulencs "Les Chemins de l'amour".

Salonmusik der höheren Art ist das, con sentimento, empfindsam, im besten Sinne gefühlvoll. Dass dergleichen nie in die glibberigen und sumpfigen Gefilde ordinärer und damit falscher Sentimentalität abrutscht, dafür sorgen die beiden Musiker. La Marca verfügt über einen wunderbar gebündelten, dabei nie forcierten oder angestrengten Ton, vermag auch im leisesten Pianissimo zu artikulieren und jedes Nuscheln und Säuseln zu vermeiden. Danae Dörken verzärtelt weder ihr Klavierspiel, noch weicht sie es nachgiebig auf. Plötzlich haben Songs wie Charles Aznavours "La Bohème" oder Hubert Girauds "Sous le ciel de Paris" klare Kontur und können so ihren feinen, fast ironischen Charme entfalten. Oder ein Minimalmusic-Stück wie "Mishima" von Philip Glass oder Astor Piazzollas "Oblivión" wirken so präzis ausformuliert wie gelassen und weltläufig. Mitten drin sechs unbekannte Albumblätter des Brahms-Zeitgenossen, Bratschisten und Dirigenten Hans Sitt (1850 - 1922). Das sind bei La Marca/Dörken sechs musikalische Mini-Erzählungen geworden, mal zart, mal schwungvoll, mal nachdenklich, dann wieder impulsiv, doch alle getragen von jener süchtig machenden dunkelfarbigen Grundsanftheit, die nur dem Klang der Bratsche gehört, vorausgesetzt, man kann ihre Magie so stolz und fesselnd beschwören wie Adrien La Marca. Harald Eggebrecht

"Vienna Blood" in ZDF-Mediathek

Wien hat genügend Abgründe zu bieten, aber die in der britisch-österreichischen Krimiserie Vienna Blood zählen zu den sehenswerteren. Und das nicht nur, weil sie am Ende aufgeklärt werden - sondern vor allem wegen des liebenswertesten Ermittlerduos seit Sherlock.

In der zweiten Staffel lösen sie als Max Liebermann (Beard) und Oskar Rheinhardt (Maurer), der eine Psychoanalytiker, der andere Kriminalbeamter - wieder vertrackte Mordfälle im Wien des frühen 20. Jahrhunderts. Wo der Grantler nach Schema F vorgeht, denkt sich das Bürscherl, ganz Freudianer, in die Seelen der Verdächtigen. "Willkommen zum Fall, Inspektor", heißt es dann.

Ihre Fälle, zu sehen in der ZDF-Mediathek, drehen sich um eine traurige Gräfin (Sunnyi Melles herrlich sophisticated), ein Mann wird zu Tode gefoltert und ausgerechnet im Klostergarten passiert ein Mord. Das alles ist ziemlich düster inszeniert, die Straßen sind rau, dreckig, die Leute einsam, natürlich auch die beiden Ermittler. Aber sie haben ja sich. Und ihre Fälle. Dreie neue nach Frank Tallis' Romanreihe "The Lieberman Papers" sind bereits in Planung. Carolin Gasteiger

Antilopen Gang

Was ist Protest eigentlich noch? Halt nein, konkreter: Was kann Widerstand von links noch sein, in einer Zeit, in der Spritzenphobiker mit Nazis auf die Straße gehen und das Aufmarsch gegen "das System" nennen? Wo sind die echten Antifaschisten gerade? Wie erkennt man sie? Und würde Beate Zschäpe heute eigentlich noch U2 hören - oder schon Antilopen Gang? Das wären ein paar von den Fragen, die die Düsseldorfer Rapper auf "Antilopen Geldwäsche Sampler 1" (Antilopen Geldwäsche/Sony Music), nein, um Gottes willen, auf keinen Fall beantworten. Eigentlich stellt die Band sie nicht mal richtig. Sie spuckt sie dem Hörer mehr im Vorbeigehen ganz lässig vor die Füße, schaut ein bisschen zu, wie das Sekret zerfließt und sich ausbreitet. Und geht dann ganz entspannt weiter. Alles sehr uneindeutig. Alles sehr kompliziert. Fast alles sehr toll. Jakob Biazza

Omikrons Twitterkonto

Die Form des subversiven Humors durch die radikale Affirmation des Gegners ist nicht neu. Die Politaktivisten vom Zentrum für politische Schönheit, vom Peng Kollektiv und der Yes Men spielen schon lange damit. Großmeister dieser Persiflage war in Amerika der eigentlich linke Fernsehmoderator Stephen Colbert, der lange den überstrammen Republikaner gab.

Auf Twitter tauchen immer wieder Konten auf, die so tun, als seien sie jemand, der seine eigene Meinung sehr drastisch vertritt. Nun gibt es seit einigen Wochen ein Twitterkonto unter dem Namen "Omicron aka B.1.1.529" mit der Unterzeile "Hier twittert die SARS-CoV-2-Variante B.1.1.529 über ihre Tour durch Deutschland". Twitterhandle @realB11529. Der Grundton ist eindeutig: Applaus für Politiker und ihre Fehlentscheidungen, für die Geimpften, die sich in falscher Sicherheit wiegen, für die Fehlinterpretationen wissenschaftlicher Erkenntnisse. Weil all das hilft ja letztlich "Omicron" bei seiner Mission, sich weitmöglichst zu verbreiten.

Zum Datenloch zwischen den Jahren schreibt "Omicron" zum Beispiel: "Manchmal finde ich es schade, dass Deutschland nicht so viel zählt. Aber andererseits käme dann ja vielleicht jemand auf die Idee mich auszubremsen, bevor ich durchgerauscht bin und auf natürlichen Wege ausgebremst werde." Zum selben Thema wendete sich die Virusvariante auch mal an den Gesundheitsminister persönlich: "Hallo @Karl_Lauterbach! Du brauchst dir keine Sorgen um mich machen. Mir geht es sehr gut. Lass die armen Mitarbeiter die freien Tage genießen und lehn dich auch etwas zurück. Es reicht, wenn du irgendwann im Januar überrascht tust. Vorher merkt ihr die Auswirkungen eh nicht."

Prinzipiell begrüßt "Omicron" Ansammlungen aller Art. Oder sie mault: "Weihnachten ist Klasse, aber wie lange geht das noch weiter? Ich komm gut rum, würde aber gern bald wieder zu KiTa/Schule/Arbeit zurück kehren, um die neuen Wirte auszunutzen, so lange sie infektiös sind." Und zu den neuen Corona-Regeln: "Find ich ein guter Kompromiss. Ich mach weiter wie bisher und verzichte nur auf Fußball und Disco." Auffällig außen vor bleiben die Querdenker. Die sind nur der Subtext der Posts und Retweets, in denen es um Wissenschaftszweifel geht. Reicht ja auch. Andrian Kreye

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