Süddeutsche Zeitung

Thriller:Abzweigung ins Nichts

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Warum das Scheitern von Christoph Hochhäuslers Reporterstreifen "Die Lügen der Sieger" mit Florian David Fitz in der Hauptrolle symptomatisch für das schlechte Handwerk des deutschen Kinos ist.

Von Tobias Kniebe

Die Elemente dieses Films wirken vertraut. Ein Nachrichtenmagazin. Ein Enthüllungsreporter mit Spielschulden und Hang zu Praktikantinnen. Eine Schweinerei mit mehreren Toten, vertuscht von der Bundeswehr und/oder irgendwelchen Giftmüllfirmen. Viele reden gar nicht. Andere reden erst mal nicht, dann aber doch. Ein Durchbruch, eine Titelstory. Und dann ist doch alles anders als gedacht.

Dagegen ist, selbst in dieser knappen Zusammenfassung, nichts zu sagen. An der Oberfläche ist Christoph Hochhäuslers "Die Lügen der Sieger" ein klassischer Reporterfilm, und klassische Reporterfilme funktionieren nun mal so. Sie sind ein erprobtes, geradezu ehrwürdiges Genre. Es wird sie geben, solange es Printjournalismus gibt, also hoffentlich für immer.

Zeitgenössisch ist der Film auch. Florian David Fitz, als Porsche fahrender Reporter für den Spiegel, der hier nicht Spiegel heißen darf, ist ein aktueller Kinostar. Lilith Stangenberg, in der Rolle der hilfreichen Praktikantin, einem One-Night-Stand nicht abgeneigt, ist eine aktuelle Entdeckung. Und die elektronischen Spionagetechniken, die hier zum Einsatz kommen, sind auf dem technisch allerneuesten Edward-Snowden-Stand.

Schon ungewöhnlicher ist, dass Christoph Hochhäusler zugleich einen Blick darauf wirft, wie öffentlich wenig beachtete Gesetze durch den deutschen Bundestag gebracht werden. Hier zum Beispiel die sogenannte "Gefahrstoffverordnung", die es wirklich gibt, die aber, weil sie so furchtbar unsexy ist, tatsächlich niemanden interessiert. Sehr zu Unrecht, behauptet der Film: Würde sie in deutschen Fabriken den Schutz vor Giftstoffen garantieren, den sie offiziell verspricht, hätte es die schon erwähnte Schweinerei mit mehreren Toten nie gegeben.

Dass sie doch passiert ist, liegt an den Lobbygruppen der Chemieindustrie, die wirksame Gesetze zu verhindern wissen. Das sind hier die "Sieger", die im Titel vorkommen - keine ganz neue Besetzung in der Rolle des Buhmanns, aber okay. Erstaunlich ist allerdings die Allmacht, die der Film diesen Finsterlingen zuspricht: Sie haben alles Geld der Welt, sie haben die Politiker in der Hand, sie platzieren gefälschte Fotos und Informationen nach Lust und Laune sogar im Spiegel-Archiv - und sie sind es, die den Reporter mit den elektronischen Spionage- und Infiltrationstechniken auf NSA-Niveau verfolgen.

Alles hochinteressant, alles gut so weit - aber ungefähr bei Minute dreißig passiert dann etwas sehr Merkwürdiges: Man sieht, wie die Praktikantin, die mit dem Reporter gerade im Porsche fährt, Textbotschaften in ihren Rechner tippt. Und dann sieht man den Oberhacker der Lobbyisten, der ihr antwortet. Da werden vertrauliche Nachrichten ausgetauscht, sie nennt den Reporter etwa ein "Macho-Arschloch". Nach allen Regeln des Kinos ist damit ein Link zwischen der Praktikantin und den Bösen etabliert. Sie muss eine Doppelagentin sein. Sie muss auf den Reporter angesetzt worden sein, um ihn im Auftrag der Chemielobby fertigzumachen. Sie ist der Feind in seinem Büro, später auch in seinem Bett.

Nur seltsamerweise kommt der Film nie wieder auf dieses Thema zurück, nicht einmal andeutungsweise. Die Praktikantin verhält sich für den ganzen Rest der Geschichte loyal. Normalerweise würde man das dann als rätselhaften Unsinn abtun, in diesem Fall aber ließ mir die Sache einfach keine Ruhe. Zumal sich "Die Lügen der Sieger" sonst recht zugänglich gibt. Ich schrieb also eine Mail an den Regisseur Christoph Hochhäusler, sehr ungewöhnlich für einen Filmkritiker, und bat um Aufklärung. Und es kam sogar eine Antwort: Keinesfalls sei die Praktikantin eine Doppelagentin des Bösen, schrieb Hochhäusler. Vielmehr tippe sie ihre Textbotschaften in dem Glauben, mit ihrer besten Freundin zu kommunizieren. Der Hacker der Schurken habe sich unbemerkt in den Facebook-Account dieser Freundin eingeschaltet, und sie wisse gar nicht, mit wem sie es da wirklich zu tun habe.

Damit ist das Rätsel zwar gelöst - aber auf einmal stellen sich größere Fragen. Nach dem Handwerk, den Methoden, den notorischen Schwachpunkten des deutschen Films. Auf einmal erscheint die Sache sehr symptomatisch.

Christoph Hochhäusler, seit "Falscher Bekenner" ein eigensinniger, hoch angesehener Regisseur, dessen Ruf in Frankreich fast noch größer ist als in seiner Heimat, will etwas sehr Komplexes zeigen: Eine Kommunikation mit völlig falschen Vorzeichen, über eine geraubte Identität bei Facebook. Das kriegt er aber in den wenigen Sekunden, die die Szene dauert, einfach nicht hin - man deutet das Geschehen zwangsläufig falsch. Völlig unbeabsichtigt lenkt Hochhäusler damit seinen ganzen Film in Richtung eines Verrats, den er gar nicht erzählen will und der dann naturgemäß auch ins Leere führt, sozusagen ins erzählerische Nichts.

Das Problem ist nun nicht, dass manche Szenen handwerklich einfach misslingen und die Zuschauer auf eine falsche Fährte führen. Das kann auch viel größeren Regisseuren passieren. Das Problem ist, dass diese Szene, die nichts Entscheidendes erzählt und komplett verzichtbar wäre, in dem fertigen Film, wie er jetzt ins Kino kommt, immer noch drin ist. Und das ist dann der Moment, wo man am deutschen Kino wieder einmal verzweifeln möchte.

Wir bräuchten Cutter in diesem Land, die solche Dinge bemerken und gar nicht erst durchgehen lassen. Wir bräuchten Produzenten mit der Macht, derart verunglückte Ideen aus einem Film hinauszuwerfen, selbst wenn der Regisseur sie verzweifelt verteidigt. Und wir bräuchten ein Testpublikum, dass sein Unverständnis äußert und bei den Machern mal nachfragen kann, was da mit der seltsamen Praktikantin eigentlich los ist.

Aber offenbar gab es das alles nicht - oder jedenfalls nicht für diesen Film. Und jetzt ist es natürlich zu spät. Jetzt werden die Zuschauer ihre Fragen stellen, wenn sie aus dem Kino kommen. Vermutlich werden sie ihrer Ratlosigkeit wütend Luft machen, und anschließend werden sie all ihren Freunden dringend davon abraten, sich "Die Lügen der Sieger" anzuschauen. Und irgendwann klagt die Filmbranche dann, dass da ein eigentlich spannender, gut besetzter, kluger deutschen Film - aus Gründen, die niemand ahnen kann - wieder einmal völlig untergegangen ist.

Die Lügen der Sieger , D/F 2014 - Regie, Buch: Christoph Hochhäusler. Kamera: R. Vorschneider. Mit Florian David Fitz, Lilith Stangenberg, Horst Kotterba, Arved Birnbaum. NFP, 112 Min.

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Quelle:
SZ vom 18.06.2015
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