Süddeutsche Zeitung

Theater:In den Rausch tanzen

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Der Choreograf Wim Vandekeybus inszeniert "Die Bakchen"

Von Christiane Lutz, München

Proben beginnen bei Wim Vandekeybus nie am Tisch, sondern meist auf dem Boden sitzend, wenn nicht gleich mit ein paar Bewegungen. Er findet, jede Theaterarbeit muss mit dem Körper beginnen, nicht mit dem Starren auf Textbücher oder Skizzen. Auch bei "Die Bakchen - Lasst uns tanzen", das Vandekeybus jetzt am Münchner Cuvilliéstheater in Koproduktion mit der Tanz-Companie "Ultima Vez" inszeniert, lief das so ab. Vandekeybus mag keine festen Strukturen, besser gesagt, er strengt sich an, sie immer und immer wieder zu durchbrechen. Auf der Bühne bedeutet das, dass er recht furchtlos Tanz, Schauspiel, Musik, Film und Malerei zu wuchtigen Stücken mischt.

"Stücke", so nennt er seinen Arbeiten, nicht "Choreografien". Damit ist Wim Vandekeybus, 55, seit etlichen Jahren sehr erfolgreich, mit seiner Companie "Ultima Vez" spielt er auf der ganzen Welt, seine Arbeit "What the Body Does Not Remember" war prägend für junge Choreografen, zuletzt versuchte er sich bei "Mockumentary of a Contemporary Saviour" an der Neuschreibung der Heilands-Geschichte. Sein Vorgehen beschreibt Vandekeybus, der weder Tanz noch Regie studiert hat, als impulsiv: "Keine Ahnung, wie ich arbeite. Ich lese einen Text und fühle, was ich zu tun habe", sagt der Belgier auf der Probebühne unterm Dach des Cuvilliéstheaters.

Beim Lesen der antiken "Bakchen" fühlte er zum Beispiel recht deutlich, dass er mit dem Text von Euripides nichts anfangen konnte und auch mit dem beliebten Mittel, das Ganze als ekstatisches, orgiastisches Hippie-Fest zu inszenieren, nichts anfangen wollte. Er ließ also von Autor Peter Verhelst eine neue Fassung schreiben. Die Grundstruktur des Mythos bleibt dabei erhalten: Der Gott Dionysos fühlt sich vom weltlichen Herrscher Pentheus bedroht und versetzt alle Frauen Thebens in einen Zustand der Trance. Pentheus lässt sich von Dionysos überreden, als Frau zu verkleidet das Treiben der Bakchen zu beobachten, was ihm den Tod durch seine eigene Mutter Agawe bringt.

Fünf Tänzer von "Ultima Vez" spielen neben vier Schauspielern, zum Teil aus dem Ensemble des Residenztheaters (René Dumont, Wolfram Rupperti und Till Firit) und den Gästen Niklas Wetzel und Sylvana Krappatsch. Für Wim Vandekeybus ist es nicht das erste mal, dass er mit Schauspielern arbeitet, für viele der Schauspieler allerdings ist es neu, dass sie in einer choreografischen Arbeit nicht nur sprechen, sondern auch tanzen. "Am Anfang waren sie, glaube ich, in einem körperlichen Schock", sagt Vandekeybus über den Probenbeginn, "aber sie bewegen sich alle sehr, sehr gut."

Vandekeybus interessieren die Gegensätze, die in dem Stück liegen: Stadt und Natur, Mann und Frau, König und Sklaven, Kontrolle und Freiheit. Vor allem das Thema Freiheit beschäftigt ihn: "München ist eine Stadt, in der alle sehr gern den Regeln folgen. Wenn ein Kind in der Bahn schreit, schauen schon alle komisch. Dies ist ein Stück, das die Regeln brechen muss." Deshalb hält er das Cuvilliéstheater auch für den passenden Ort, weil es einen so schönen Gegensatz zu den "Bakchen" bildet.

Beim Regeln brechen hilft auch der Maler Vincent Glowinski, den Vandekeybus unbedingt als zentrales Element dabei haben wollte. Der französische Künstler wird bei jeder Vorstellung live auf der Bühne malen, besser: die Bühne bemalen - und die Schauspieler. Die Kostüme von Isabelle Lhoas sind einfache Baumwollkreationen, die für jeden Spieltag neu gefertigt werden müssen. Anfangs sind der Raum und die Kostüme ganz weiß, Glowinski wird auf ihnen jedes Mal etwas Neues erschaffen. "Das macht ihn in der Geschichte eigentlich zur mächtigsten Figur", sagt Vandekeybus, "vielleicht sogar zum Zeus."

Der Choreograf weiß, dass Tänzer und vor allem Schauspieler Sicherheit auf der Bühne brauchen und gern Dinge wiederholen, wenn sie einmal funktioniert haben. Doch er möchte, dass sie sich auf das immer Neue einlassen, das mit Maler Glowinski kommt. Sich die Freiheit nehmen, die Regeln zu brechen. Vandekeybus ließ dem Maler offen, wann der zu den Proben kam. Mal war er dabei, mal nicht. Überhaupt ist Vandekeybus kein Fan des diktatorischen Regiestils: "Ich lasse meine Künstler laufen. Wenn ein Regisseur ständig sagen muss, er ist der Regisseur, dann stimmt schon was nicht."

Die Bakchen - Lasst uns tanzen ; Uraufführung am Freitag, 15. März, 19.30 Uhr, Cuvilliéstheater

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Quelle:
SZ vom 15.03.2019
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