Süddeutsche Zeitung

Theater:Haut Couture

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Bleibende Eindrücke vom "Spielart"-Eröffnungswochenende

Von Egbert Tholl, München

"Spielart" kann dauerhaftere Spuren hinterlassen, als man es normalerweise von einem Theaterbesuch gewohnt ist. Wobei der Begriff "Theaterbesuch" im "Spielart"-Kontext ja ein sehr weiter ist. Im Fall von Tania El Khoury steckt man im Foyer des Carl-Orff-Saals im Gasteig seinen Arm durch ein Loch in einer Wand, und auf der anderen Seite sitzt Basel Zaraa und malt etwas drauf. Diese Zeichnung trägt man dann einige Tage mit sich herum, sie zeigt in der eigenen Handfläche ein kleines Boot mit Menschen, am Unterarm 13 Figuren, Reisende, vielleicht Flüchtende. Während Zaraa in dieser von El Khoury entworfenen Performance gemalt hat, hörte man im Kopfhörer einen Rap von ihm, eine Geschichte von Flucht, von Booten, wie viel das kostet und was es emotional mit den Flüchtenden macht.

Natürlich könnte man in einem ersten Reflex sagen, "As Far As My Fingertips Take Me" erzähle die gefühlt hunderttausendste Flüchtlingsgeschichte in einem im weitesten Sinne theatralischen Kontext, und das garantiert nicht krass. Aber an einem sonnigen Wochenendtag mit der Zeichnung auf dem Arm durch München zu laufen, das macht etwas mit einem. So ausgerüstet begibt man sich dann zur nächsten Produktion von El Khoury und forscht in verschiedenen Schließfächern im Einstein der Geschichte ihrer aus dem Libanon stammenden Familie nach. Das hat etwas bruchstückhaft Detektivisches - weshalb wanderte der Urgroßvater nach Mexiko aus und kam ohne Geld zurück? Als nur ein Beispiel.

"Spielart" hat eröffnet, und nach acht Produktionen, die man in den ersten zwei Tagen gesehen hat, stellt sich dieses schöne Gefühl ein, auf permanenter Expedition zu sein, auf der nicht unbedingt die größten Fundstücke die tollsten sein müssen. Das größte war erst einmal das Nature Theatre of Oklahoma, das mit "No President" die physische Überwältigungsshow einer sehr seltsamen, Monty-Python-haften Ballettveranstaltung in die Muffathalle hineinknallt. Milde Bühnenscherze, lustiger Text, "Nußknacker" in Folterendlosschleife vom Band, mit mindestens zwei unfassbaren Darsteller auf der Bühne.

Solche Großproduktionen - diese stammt von der Ruhrtriennale 2018 - braucht jedes Theaterfestival, sie erregen Aufmerksamkeit und bedeuten für viele Besucher ein Wiedersehen mit alten Bekannten. Das Programm des ganzen Festivals ist dann aber so heterogen, dass es sich verbietet, das eine mit dem anderen zu vergleichen.

Aber das ist jetzt auch einmal egal: Die eigentliche Eröffnung, vor Oklahoma, ist wunderschön. So fein, so zart, das "No President" danach wie durchdrehendes Fitnessstudio wirkt. Faustin Linyekula aus dem Kongo und Moya Michael, aus Südafrika und in Brüssel lebend, erzählen eine Geschichte, so klug und wundersam, dass man über sie und auch die Art, wie die beiden erzählen, mit ein bisschen wunderbaren Gesang und ein bisschen nicht so wunderbaren Video, noch lange nachsinnt. Linyekula erzählt von der Reise ins Dorf seiner Vorfahren, irgendwo äußerst abgelegen im Kongo. Im Depot des New Yorker Metropolitan Museums hat er eine Figur aus dem Kongo entdeckt, deren Einsamkeit er durch eine Gefährtin vertreiben will. Ihm wird im Dorf auch eine erschaffen, aber Figuren werden im Kongo geweiht, dann sind sie sehr wertvoll. Linyekula wollte aber nicht, wie seit Jahrhunderten, seinem Land etwas Wertvolles wegnehmen. Er fand eine Lösung.

Ein bezaubernd poetischer Kommentar zur Rückgabediskussion. Am Ende steht dann im Haus der Kunst tatsächlich eine Figur. "Just a Piece of Wood", sagt Linyekula. Ohne Aura. Billig. Mitnehmbar.

Dringende Empfehlung, läuft noch bis 9. November: "Death and Birth in My Life" in der Lothringer 13.

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Quelle:
SZ vom 29.10.2019
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