Süddeutsche Zeitung

Theater:Alles reine Ökonomie

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Jonas Hassen Khemiris Stück "≈ [ungefähr gleich]" erzählt von Menschen am unteren Ende der sozialen Leiter. Mina Salehpour hat es an der Schaubühne Berlin inszeniert.

Von Mounia Meiborg

Immer wieder regnet es Konfetti. Auf dem Arbeitsamt, beim Karrierecoach, beim Rubbellosverkauf. Konfetti, das ist Spaß und Erfolg, Show und Luxus - der Stoff, aus dem die kapitalistischen Träume sind.

Jonas Hassen Khemiri lässt in seinem Stück "≈ [ungefähr gleich]" Figuren auftreten, die am unteren Ende der sozialen Leiter stehen: einen Dozenten der Wirtschaftsgeschichte, der prekär bezahlte Vorlesungen über Utopien hält. Seine Frau, die anfängt Parfum zu klauen - was sie mit dem Werbe-Mantra "Du bist es dir wert" rechtfertigt. Und einen Obdachlosen, der jeden Passanten mit einem anderen Spruch anschnorrt, wie ein cleverer Marketingprofi.

Die junge Regisseurin Mina Salehpour hat das Stück im Studio der Berliner Schaubühne so inszeniert, wie es wohl am besten funktioniert: als fantasievolle Farce. Die vier Schauspieler spielen rhythmisch und zackig; fast, als würden sie den Text tanzen. Renato Schuch gibt den Berater beim Arbeitsamt als windigen Showmaster. Bernardo Arias Porras lässt den Obdachlosen mit einer wippenden Hüfte zur hochkomischen erotischen Gefahr werden. Und Iris Becher agiert in allen Rollen mit bemerkenswerter Präzision.

Alina Stiegler hat es da schwerer: Sie spielt eine Frau, die nach der Kündigung ihre Nachfolgerin vor ein Auto stößt. Hier offenbart sich eine Schwäche des Textes. Denn der schwedische Autor, Jahrgang 1978, gibt den Figuren zwar liebenswerte Züge, aber keinen Kontext, keine Geschichte. Ihre Armut bleibt eine Behauptung. Es sind Schlaglichter eines durchökonomisierten Alltags - für die Mina Salehpour tolle Bilder wie aus einer fernen Welt findet (Bühne: Andrea Wagner). Anfangs sitzen die Schauspieler mit Fuchs-Köpfen an viel zu niedrigen Tischen und schneiden Goldfolie in Schnipsel. Eine Konfetti-Fabrik. Man kann dabei an Näherinnen in Bangladesch denken. Oder an einen Film von Wes Anderson. Dass die einen sich abmühen für das Vergnügen der anderen, ist hier vor allem eins: absurd.

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Quelle:
SZ vom 19.02.2016
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