Süddeutsche Zeitung

Theater:Alles oder nichts, und sei es der Tod

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Noch ein Norweger in Frankfurt: Henrik Ibsens störrischer "Brand", mit Wucht inszeniert von Roger Vontobel.

Von Egbert Tholl

Henrik Ibsens "Brand" erschien 1866 und gilt als der Durchbruch des norwegischen Dramatikers. Allerdings nicht auf dem Theater, nur als Lesestoff. Uraufgeführt wurde dieses "dramatische Gedicht" erst zwanzig Jahre nach seiner Entstehung, in Deutschland wurde es nie populär, was an der Qualität von Ibsens späteren Stücken und auch an der Übersetzung von Christian Morgenstern in gebundener Sprache liegen mag. Das Stück ist sperrig, lang und argumentativ stur wie ein störrischer Esel.

Nun zeigt es dennoch das Schauspiel Frankfurt und hat dafür einen guten Grund, nämlich die eigens in Auftrag gegebene Prosa-Neuübersetzung von Hinrich Schmidt-Henkel. Die ist hart, klar, eliminiert den Schwulst und ist damit ein guter Außenbeitrag des Theaters zur derzeitigen Frankfurter Buchmesse mit deren Gastland Norwegen. Was jedoch bleibt, ist die rasante Eindimensionalität des Stoffs.

Davon lässt sich der Regisseur Roger Vontobel nicht abschrecken und macht zusammen mit dem Bühnenbildner Olaf Altmann und dem Lichtdesigner Johan Delaere imposantes Überwältigungstheater in einer monumentalen Leere, die in ihrer Wucht ausgezeichnet zum Text passt. Die Bühne steht schräg im Raum, lässt sich hochklappen wie ein Berg, auf dem dann Brand, der Titelheld, klebt wie ein Priester auf dem Bauch vor dem Hochaltar. Hinter dieser Spielfläche ein Abgrund, aus dem der Nebel genauso heraufsteigt wie das Volk, Silhouetten im harten Seitenlicht, begleitet von den rumpelnden Klangsphären von Keith O'Brien und den metaexaltierten Stimmvolten Katharina Bachs, die hier eine Art emotionalen Beipackzettel zum Geschehen mitliefert, dessen Absenz man nicht bedauern würde.

Vontobel tut gut daran, bei aller Sprödheit das Stück in seiner Zeit zu lassen

Es geht, trotz der in einigen Momenten zahlreichen Menschen auf der Bühne, nur um zwei: um Brand, den Pfarrer, und um Agnes, die Frau, die sich von ihm mitreißen lässt. Es geht also im Kern nur um Heiko Raulin und Jana Schulz, alle anderen braucht man lediglich zum Anstupsen der Handlung. Man könnte auch sagen: fürs Weiterdrehen der Schraube.

Brand predigt Unabdingbarkeit, will stets alles oder nichts, opfert dafür seinen Sohn, der im kalten Pfarrhaus stirbt, verstößt seine Mutter, die auf dem Sterbebett nicht ihren ganzen Besitz der Kirche überschreiben will. Raulin spielt Brand mit eiskalter Glut, seziert die Sprache, ist ganz selten weich. Sein Brand hält auch noch die Wäscheleine, als müsste er einen Ochsenkarren aus dem Schlamm ziehen. Agnes springt aus den Armen ihres Bräutigams in diese Aura der kompromisslosen (Selbst-)Gerechtigkeit; Jana Schulz wird dann immer mehr zum menschlichen Spiegel von Brands Furor. In ihr sieht man, was er anrichtet, dabei spürt man, die beiden könnten es gut haben. Sie versteht ihn, aber irgendwann will und kann sie ihm nicht mehr folgen. Nach dem Tod des Sohnes fordert Brand von Agnes, die Kindersachen einer Bettlerin zu geben. Und wie Jana Schulz um das letzte Häubchen ringt, an dem noch der Geruch des Kindes haftet, das rührt einen zu Tränen.

Vontobel tut gut daran, das Stück, bei aller Sprödheit, in seiner Zeit und am nordischen Fjord zu belassen. Die Bezüge zu Predigern in heutiger Zeit, denen argumentativ nur schwer beizukommen ist, weil sie nichts anderes hören wollen als ihre eigene Meinung, stellen sich ohnehin ein. Agnes geht zugrunde, sagt "danke für alles", Brand folgt ihr nach. Ein Mörder seiner selbst wegen einer Idee, verblendet bis in den Tod. Volkes Masse übrigens, die bereit war, Brand zu folgen, kehrt sich von ihm ab, als der Landrat (Isaak Dentler) von einem riesigen Fischschwarm im Fjord und damit vom Reichtum für alle berichtet. Eine Lüge, aber anders kommt der listige Landrat dem hermetischen Gedankengebäude Brands nicht bei.

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Quelle:
SZ vom 18.10.2019
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