Süddeutsche Zeitung

Start von Help TV:Glaube, Liebe, Telefongebühren

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Jürgen Rüttgers drückte auf einen Knopf und ließ einen weiteren Spartenkanal auf die Menschheit los: "Help TV", wo Jürgen Fliege sein Comeback als Fernseh-Kummerkastenonkel feiert.

Hans Hoff

Der Dortmunder Stadtteil Hörde ist nicht das, was man sich unter einer brodelnden Medienmetropole vorstellt. Trist und trüb liegt er da im verregneten November, und es deutet so gar nichts darauf hin, dass hier gleich Fernsehgeschichte geschrieben werden soll - allenfalls vielleicht die wichtig aussehenden Menschen deuten darauf hin, in ihren dunklen Anzügen, die in jenes Haus an der Hermannstraße strömen, in dem das Scheitern auch zu Hause ist (tv.nrw, Onyx).

Der große Helmut Thoma ist gekommen, Gründer von RTL, und auch Jürgen Doetz, der Sat-1-Pionier. Sie wollen erleben, wie NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers auf einen Knopf drückt und noch einen Spartenkanal auf die Menschheit loslässt.

Help TV heißt der neue Sender. Wer künftig Probleme hat, zahlt 49 Cent für den Anruf aus dem Festnetz, lässt sich mit Help TV verbinden, wird ins Studio durchgestellt und bessert sein Leben ein bisschen auf.

Die ganze Wahrheit, wie so oft, sieht anders aus. Mit der einfachen Gebühr ist es nicht getan. Die 49 Cent werden ja nicht erst fällig, wenn ins Studio durchgestellt wird, sondern müssen bereits für den bloßen Anrufversuch eingesetzt werden. Hilfe in Sachen Recht, Medizin, Lebenshilfe und Esoterik wird den Beladenen hier also nicht einfach so gegeben. Hilfe wird verlost.

Doch vorerst ist davon keine Rede, denn erst wollen die drei Manager vom Vorstand der Help TV AG erklären, was sie vorhaben. "Wir wollen der Sender sein, der die Antwort gibt", sagt der in Beratungstalks ("Vera am Mittag") erfahrene Ulrich Hansbuer. Sein bislang vor allem im Sat-1-Regionalfenster-Business tätige Partner Peter Pohl schiebt die Frage nach: "Sind wir eigentlich bekloppt? Wir glauben nicht." Stephan Mattukat, früher Programmdirektor bei Neun Live, kündigt dafür einen forschen Minimalismus an: "Den ganzen Fernsehklimbim, den lassen wir einfach weg."

Selbständig in der Garage

Irgendwann wird dann auch der Star des neuen Senders zugeschaltet: Jürgen Fliege. Jeden zweiten Sonntag soll Fliege fünf Stunden Programm im Studio Dortmund bestreiten. Noch ist er aber nicht in Hörde gelandet. Aus Memmingen wird er zugeschaltet und präsentiert sich gewohnt charmant, spruchstark und mit dem Hang zur zwischenzeitlich hemmungslosen Selbstüberschätzung. Zwölf Jahre habe er der ARD "gedient", bilanziert er mit grimmigem Lächeln, nun, bei seiner Rückkehr mit Flieges Welt auf Help TV fühle er sich wie ein Abteilungsleiter, der bei einer großen Firma gelernt habe und sich in einer Garage selbständig mache.

Fliege ist immer noch böse auf die vom Ersten: Er trete in "eine Zukunft, die von der ARD gedeckelt" worden sei. Nun ist er endlich sein eigener Programmdirektor. Kommt er sich nicht ein wenig schäbig vor, wenn er die Menschen nach dem Neun-Live-Prinzip immer und immer wieder anrufen und jedes Mal zahlen lässt? Ach ja, antwortet er mit televisionärer Scheinheiligkeit, es sei doch auch ein Lernprozess, wenn man ein- oder zweimal nicht durchkomme. Dass die Zahl der Anrufversuche bei schwer mit Seelennot und schwer problembeladenen Menschen da schnell auch mal mehrstellig werden kann, verschweigt er und haut dafür lieber noch einmal auf seinen früheren Sendeplatzgeber ein. "Mit 49 Cent ist das eine faire Sache. Es ist fairer, als ARD und ZDF sind, die jeden Monat 17 Euro kassieren."

Danach tritt der Ministerpräsident auf und drückt pünktlich den Knopf. Am 3. November, einem Freitag, um 16.15 Uhr geht Help TV auf den Satelliten und ins digitale Kabel, adressiert an elf Millionen erreichbare Haushalte. Die erste Sendung bestreitet Jürgen Rüttgers praktischerweise selbst. Als um Anrufe und Fragen gebeten wird, reizt das zum Selbstversuch. "Ich stelle Sie ins Studio durch", sagt eine freundliche Dame im Callcenter, und es ertönt ein paar Mal ein warmes "Tuuut". Hoffnung keimt, gleich mit dem ranghöchsten NRW-Politiker persönlich verbunden zu sein. Doch plötzlich ist die Verbindung gekappt. Auch ein zweiter Versuch scheitert auf die gleiche Weise. Schon sind 2,51 Euro vom Handy-Guthaben abgebucht, ohne dass es die groß versprochene Antwort gegeben hat. Dafür gibt es einen tröstenden Händedruck vom Vorstand Ulrich Hansbuer, der sich lächelnd für die erste Einnahme bedankt.

Mit 300 Anrufversuchen pro Stunde rechnet Pohl in der Anfangsphase. Dieses Volumen hilft dem Sender allerdings kaum im Bestreben, Ende 2008 schwarze Zahlen zu schreiben. Deshalb sollen die Kunden in einer zweiten Phase in teurer getaktete Beratungshotlines gelockt werden. Der Anrufer wird dann wohl vor der Wahl stehen, ob er in der Studioleitung verhungern oder gleich die teure Alternative mit Kontaktgarantie möchte.

Eine Frau ist aber durchgekommen und will von Rüttgers wissen, ob es sich überhaupt noch lohne, zu studieren. "Wenn Sie studieren wollen, dann studieren Sie", lautet im Kern der blumige Rat. Das passt ein bisschen zu der Abschiedsformel, die Fliege künftig verwenden möchte. Nicht mehr wie bei der ARD ein "Passen Sie gut auf sich auf", sondern ein nach Selbstverantwortungsverzicht klingendes "Das Leben sorgt für dich."

Ob die Tipps von Rüttgers oder die Sprüche von Fliege 49 Cent oder möglicherweise ein Vielfaches davon wert sind, können wahrscheinlich nur die Anrufer selbst beurteilen. Help TV kennt doch noch nicht alle Antworten.

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SZ v. 6.11.2006
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