Süddeutsche Zeitung

Spurensuche:Mondgebet

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Im November fehlt den Menschen das Licht, sie behelfen sich mit Lampen. Ein Maler der Renaissance dagegen feiert die Dunkelheit.

Von Kia Vahland

Die Welt verändert sich ständig - nicht aber die großen Fragen, die Menschen bewegen. Wir suchen in alten Filmen und Kunstwerken nach wiederkehrenden Motiven. Sebastiano del Piombo rät, die Dunkelheit auszuhalten.

Der Mensch und die Dunkelheit, das ist keine Liebesbeziehung. Hunden hilft nachts ihr Geruchssinn, Katzen ihre Sehkraft, Menschen aber führt die Natur dann die Grenzen ihrer Existenz vor Augen. Die Augen müssen sich erst anpassen, das Gehör ist auf sich allein gestellt, und sich mit Händen und Füßen voranzutasten, hilft auch nur im unmittelbaren Nahbereich. Kein Wunder, dass Erfinder sich früh mit Lampen beschäftigten. Und seit 1814 verbreitete sich die öffentliche Gasbeleuchtung. Inzwischen sind Straßen, Städte und Landstriche so überbeleuchtet, dass manche Kinder kaum je echte Finsternis kennen.

Und doch holt das Dunkle auch noch die Zeitgenossen immer wieder ein. Es muss nur November werden, und schon brauchen sie zu Hause eine Tageslichtlampe, um wenigstens bis zur Wintersonnenwende im Dezember durchzuhalten.

Offensiv stellt sich die Malerei dem Dunkeln erst in der Renaissance, etwa in der großformatigen "Pietà" Sebastiano del Piombos aus Viterbo. Vor einer ruinösen Nachtlandschaft liegt der tote Heiland, und eine massive, nach Michelangelos Vorbild recht maskulin gebaute Muttergottes richtet Blick und Gebet gen Mond. All ihre Muskeln nützen ihr nichts; sie kann die Einsamkeit und das Unglück dieser Nacht nicht abwehren, und der kleine Brand am Horizont verstärkt es nur noch.

Der Venezianer Sebastiano hat die Kunst der Nacht aus seiner Heimat nach Mittelitalien gebracht und auch die Neigung, sich auf Holztafeln aus dem Dunkeln ins Helle vorzuarbeiten. Leonardo da Vincis Forderung, ein Maler müsse alles zeigen, was der Bildhauer nicht vermöge, das Unwetter, die Landschaft und die Nacht, mag ihn beeinflusst haben. Die Dunkelheit aber erfordert nicht nur Bravour in der Darstellung, sie verlangt vor allem die Fähigkeit, sich einer Stimmung, auch einer unheimlichen, hinzugeben, sie auszuhalten, wenn schon nur ungern in der Realität, dann aber doch in der Kunst. Und ganz und gar dunkel ist die Welt ja doch nicht. Es gibt noch den bleichen Mond, der die trauernde Mutter bescheint.

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Quelle:
SZ vom 18.11.2017
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