Süddeutsche Zeitung

Spurensuche:Meeresglück

Lesezeit: 2 min

Wenn ein Stück Erde in den Fluten versinkt, ist das schrecklich. Doch im Kino reizt diese Vorstellung die Fantasie: Irgendwo da unten muss das Paradies doch zu finden sein. Der Regisseur Steven Spielberg ging der Sache auf den Grund.

Von Susan Vahabzadeh

Die Welt verändert sich ständig -nicht aber die großen Fragen, die Menschen bewegen. Wir suchen in alten Filmen und Kunstwerken nach wiederkehrenden Motiven. Versunkene Städte müssten Angst machen, doch im Kino lassen sie das Paradies erahnen.

Es sah aus, als ob ein riesiger Fisch einmal in die Küste gebissen hätte, als Anfang der Woche ein Stückchen Queensland vom Meer verschlungen wurde. Es kam dabei keiner zu Schaden, nur Gegenstände hat das Wasser sich geholt - der Zauber von Zivilisationsresten am Meeresgrund setzt voraus, dass man sich keine Ertrunkenen dabei vorstellt.

Es versinkt sehr oft ein Stückchen Erde, weswegen die versunkene Stadt ein uraltes Motiv ist. Fast immer, ob es nun um Atlantis geht oder um Vineta, ist es ein sagenhafter wunderbarer Ort, der da entschwunden ist, und das macht dann auch die Faszination der Überreste auf dem Meeresboden aus: die Vorstellung, dass das da unten ein Stück Paradies zu sehen sei, vom Wasser für die Ewigkeit bewahrt, wie in Spiritus. In der Phantasie überdauern versunkene Städte alle Zeit.

So malte es sich auch Steven Spielberg aus, als er für "A.I. - Künstliche Intelligenz" New York flutete. "A.I." ist eine Pinocchio-Geschichte, die in ferner Zukunft spielt, eigentlich wollte Stanley Kubrick sie verfilmen und übergab, kurz vor seinem Tod 1999, das Projekt an Spielberg. Ein kleiner mechanischer Junge, so perfekt, dass er lieben und fühlen kann, soll eine Frau trösten, deren eigenes Kind im Koma liegt. Das echte Kind wacht auf, und dass er dann verstoßen wird, kann der kleine Android nicht verwinden: Denn sein Körper mag künstlich sein, seine Liebe aber ist echt.

Die Suche führt ihn ins versunkene New York, und als er zufliegt auf das verlorene Inselreich, ragen nur die Gipfel von Manhattan noch aus dem Wasser, Hochhausspitzen, die Fackel der Freiheitsstatue - und die Türme des World Trade Center; im Sommer 2001 kam der Film in den USA ins Kino, als er in Deutschland anlief, gab es die Türme schon nicht mehr. Der Kleine wird 2000 Jahre in der versunkenen Stadt auf seine Mutter warten, und am Ende, als es gar keine Menschen mehr gibt, sondern nur noch künstliche Intelligenz, wird er gefunden - und die neuen Bewohner der Erde lassen für ihn aus einer Locke die Mutter noch einmal kurz wiederentstehen, bevor er, endlich, an den Ort geht, "an dem Träume geboren werden". Und der liegt ganz bestimmt am Meeresgrund.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.2674506
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 02.10.2015
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.