Süddeutsche Zeitung

Spurensuche:Kranke Schwester

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Leben wie Kino bringen manchmal Hassfiguren hervor. Ein Angeklagter erinnert gerade an die Oberschwester aus "Einer flog übers Kuckucksnest".

Von Susan Vahabzadeh

Die Welt verändert sich ständig - nicht aber die großen Fragen, die Menschen bewegen. Wir suchen in alten Filmen und Kunstwerken nach wiederkehrenden Motiven. Auf echte Hassfiguren wartet keine Erlösung.

Kaum jemand hat es sich so gründlich mit der amerikanischen Öffentlichkeit verscherzt wie Martin Shkreli. War ganz einfach - der steinreiche Shkreli kaufte die Rechte an einem Medikament, das Aidskranke und Krebspatienten bekommen und erhöhte dann den Preis, von 13,50 Dollar pro Tablette auf 750 Dollar. Sein Auftritt vor dem amerikanischen Kongress in der Sache war dann wirklich denkwürdig, grinsend und augenrollend wie ein aufmüpfiger, komplett verzogener Teenie. Bei Twitter wurde sein Konto gesperrt, weil er auf Kritik an seinem unsäglichen Betragen gern mit noch unsäglicherem Betragen reagiert, was in den USA zwar derzeit als "presidential" durchgeht, sonst aber nicht so goutiert wird.

Aber der Teufel hat ja manchmal lustige Ideen. Deswegen steht Shkreli jetzt in Brooklyn vor Gericht. Nicht wegen der Medikamente, das war tatsächlich legal. Nur basiert Shkrelis Reichtum, findet die Staatswaltschaft, auf so etwas wie einem Schneeballsystem an Täuschungen. Er muss sich wegen Betrugs verantworten. Und seine Anwälte haben ein echtes Problem, unvoreingenommene Jury-Mitglieder zu finden, die Shkreli nicht schon vor dem Prozess widerlich finden. Ihn sehen und ihn hassen ist offensichtlich eins.

Jene Schwester Ratched, gegen die in "Einer flog übers Kuckucksnest" McMurphy (Jack Nicholson) rebelliert, war so eine Hassfigur - Louise Fletcher sagte später, sie könne den Anblick dieser Frau nicht ertragen. Und sie hat sie immerhin gespielt. Schwester Ratched war sogar ihr größter Erfolg, Fletcher hat 1976 einen Oscar bekommen für den Auftritt.

Milos Forman hatte mit "Einer flog übers Kuckucksnest" einen Roman von Ken Kesey adaptiert. Die Oberschwester, die in einer psychiatrischen Klinik ihre Patienten schikaniert, kleinmacht, grausam bestraft, wenn sie nicht spuren, wurde zu einem echten Klassiker unter den Kino-Schurken. Obwohl sie doch, anders als die Fieslinge im Bond-Universum oder die Sturmtruppler aus dem "Krieg der Sterne", auf den ersten Blick gar nicht zu erkennen ist in ihrer Monströsität. Aber wenn man sie beobachtet, während sie das Krankenzimmer räumt, in dem die blutige Leiche eines Patienten liegt, den sie selbst in den Selbstmord getrieben hat, sieht man das Eis in ihren Augen. McMurphy will sie dann erwürgen, und sie revanchiert sich dafür bei ihm mit einer Lobotomie. Ähnlich wie Shkreli wird sie nicht sympathischer, wenn sie lächelt. Für echte Hassfiguren gibt es eben keine Erlösung.

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Quelle:
SZ vom 08.07.2017
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