Süddeutsche Zeitung

Springsteen in Ludwigshafen:Bleib' hart, hungrig und am Leben

Lesezeit: 4 min

Hat jemand auch nur eine Sekunde daran gezweifelt, dass es ein tolles Konzert werden würde? Und das, obwohl Bruce Springsteens neue CD "The Rising" kaum mehr ist als verspätete Bewältigungslyrik zum 11. September.

SONJA ZEKRI

So war das damals: Die ganze Nacht gefahren, übernächtigt angekommen und irgendwie durch den Tag geschleppt, denn was zählte, war ja der Abend: Bruce Springsteen Open Air in München. Es einmal aus seinem Munde zu hören: Dass eine Straße hinausführt aus diesem trüben Dasein. Eine Straße nach Westen. Und Springsteen sang von der "Thunderroad" und von Amerika, voller krächzendem Pathos, aber weil man mit Siebzehn sowieso keine Ironie versteht und Deutschland nie so niederschmetternd ist wie in diesem Alter, nahmen wir seine Worte ernst: Die Zukunft wird großartig, wenn sie mal angefangen hat. Bald darauf aber war klar, dass die Zukunft auch mal schlecht ausfallen kann. Ironie wurde unser zweiter Vorname, und Springsteen war plötzlich peinlich, wie Schulterpolster oder alte Tagebücher.

Ludwigshafen am vergangenen Samstag. Auftaktkonzert für Springsteens Open-Air-Tournee. Ein Wiedersehen nach zwanzig Jahren. Aber was für eines? Springsteen reist mit der E-Street-Band und mit den Songs seiner neuen CD, "The Rising". Punkt eins klang vielversprechend, Punkt zwei nicht. "The Rising" ist verspätete Bewältigungslyrik zum 11. September, eingebettet in Arrangements so weich und tückisch wie ein Wasserbett. Im Stadion trägt ein dicker Mann faltbare Sitzkissen vorbei. Vorn liest eine Frau in einem Buch. Im Umkreis sind fünf Operngläser auszumachen. Vielleicht wird es ja furchtbar.

(SZ v. 12.05.2003) - Springsteen betritt die Bühne allein, mit akustischer Gitarre und Mundharmonika, sagt artig "Guten Abend" und singt "This Hard Land", eine der schönsten Hymnen über das Verlieren und das Durchhalten: "If you can't make it, stay hard, stay hungry, stay alive if you can", wenn Du es nicht schaffst, bleib' hart, hungrig und am Leben. Für "The Rising" kommt die E- Street-Band auf der Bühne, und danach ist klar: Es ist eine kleine Sensation. "The Rising" erzählt vom Opfergang eines Feuerwehrmannes im World Trade Center, im Studio eine weichgespülte Erlösungsfantasie, doch unter dem jeansblauen Maihimmel wirken der simple Rhythmus und das mantraartige "It's alright, it's alright, it's alright, it's alright", wie für's Stadion gemacht. Aus einem einzigen Grund und der heißt E-Street-Band. Vom Pearl- Jam-Produzenten Brendan O'Brien im Studio zur Background-Kapelle von Weltmusik-Ambitionen herabgestuft, darf die E-Street-Band endlich wieder reinhauen. Und so brechen die Hammondorgelwellen Danny Federicis, Clarence Clemons' Saxophon und das besinnungslose Schlagzeug Max Weinbergs über das Stadion hinein wie ein Frühlingsgewitter. Alles ist wieder da: Die verschleppten Einsätzen und Crescendi, der primitive Stomp, der ganze jubelnde Optimismus, der unverwechselbare satte E-Street-Sound. Reduziert und kantig klingen die Songs von "The Rising", als käme unter all dem Streicher- und Zimbel-Gewölk endlich ihr Kern zum Vorschein. Sie bestehen sogar neben den Alltime-Classics wie "Candy's Room" oder "No Surrender". Das schwungvolle "Waiting for a Sunny Day" mit einer E-Geige, die so schmutzig klingt wie eine singende Säge, liefert einen wunderbaren Anlauf zu einem atemlosen Kracher wie "Badlands". Selbst die leiseren Stücke von "The Rising" wie "Empty Sky" und "Your're Missing" wirken nicht abgründig, sondern sentimental.

Springsteen und die E-Street-Band spielen fast nur ganz alte oder ganz neue Lieder, denn die gemeinsame Zeit endete mit "Born in the USA" und begann erst wieder mit "The Rising". Die Nähe zu den bekannten Verlierer-Geschichten tut den neuen Songs gut, denn sie nimmt ihnen den Ausnahmestatus. Amerika hat Enttäuschte und Betrogene schon produziert, als das World Trade Center nicht mal stand, und Springsteen hat sie ein Leben lang besungen. So erscheint der Opfermut der Banker und Ehefrauen nicht heroisch, sondern nur als logische Zuspitzung des Überlebenskampfes. Damit leistet dieser Abend, was "The Rising" nicht geschafft hat: Es gibt den Liedern über den 11. September einen historischen Bezugsrahmen, einen Kontext für die Katastrophe - und der heißt Amerika

Im Oval hat sich jemand die US-Flagge über die Schulter geworfen. Wenn Springsteen versuchen würde, Amerika zu erklären, vielleicht würden man ihm sogar glauben, ganz sicher aber zuhören. Er ist der schärfste Kritiker und der leidenschaftlichste Patriot, hat seinem Land "The Rising" geschenkt, als es ihn brauchte, und die aufmüpfigen Dixie Chicks gegen die neuen Saubermänner verteidigt. Er tut es an diesem Abend nicht. Irgendwann bedankt er sich nur für die "Unterstützung aus Deutschland über alle die Jahre": "Wir wissen das zu schätzen." Natürlich meint er die Fans und die Musik. Aber trotzdem.

Zugegeben: In den letzten Jahren wirkte Springsteen manchmal wie eine Inge Meysel des Rock'n'Roll, wie das gute, etwas runzlige Gewissen der Nation: zerquält, zergrübelt und penetrant aufrecht. Die einzige Botschaft dieses Abends aber lautet, dass drei Stunden Rock'n'Roll für die Psychohygiene mindestens so gut sind wie eine Analyse, oder für den Katholiken Springsteen: eine Messe. Manchmal sogar besser.

Heute befreit der "Boss" seine Songs, seine Band und sich selbst. Er ist albern: Dreht sich auf dem Rücken, rutscht auf den Knien, wirft die Gitarre herum, hüpft in die Menge, schlingt die Beine kopfüber um den Mikrofonständer oder schaukelt bei "Spirits in the Nights" mit einer Hand daran eingehängt. Gesten des Authentischen seien das, wurde gemäkelt, künstlich wie das Jochbein von Michael Jackson. Einen Blue-Collar-Star haben Kritiker ihn genannt, einen Working-Class-Millionär. Und vermuten wohl noch hinter der Rückkoppelung eine Inszenierung.

Dabei ist diese Kritik so unsinnig, als würde man Naomi Campbell das Modeln vorwerfen. Zwei Videoleinwände neben der Bühne zeigen das Konzert in MTV-Qualität, mit Blenden und Schnittfolgen in Clipgeschwindigkeit, und irgendwann sieht man Springsteen in Großaufnahme: Wie er mit zusammengekniffenen Augen und gefletschten Zähnen die Pranke auf die Saiten drischt, als wolle er das Instrument spalten. Er hatte keine Wahl. Mit dieser Feinmotorik und diesem Gesicht legt man sich entweder ein Arbeiter-Image zu oder gar keins.

Drei Mal kommt Springsteen noch für Zugaben auf die Bühne, "Born to Run", "Bobby Jean", das neue "City of Ruins", zuletzt "Dancing in the Dark". Er sieht aus, als ob er Spaß hat. Vielleicht ist das gespielt. Aber dann soll ihm das mal einer nachmachen. Hat jemand nur eine Sekunde gezweifelt, dass es ein tolles Wiedersehen werden würde?

Weitere Konzerte: 25.5. Gelsenkirchen, 10.6. München, 12.6. Hamburg.

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