Süddeutsche Zeitung

Spielbergs "Krieg der Welten" in den Kinos:Panik, Flucht, Desaster

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Tostlose Soßen, es fehlt der Fun. Schwarze Schatten liegen über dem Sommerkino. Was mit Steven Spielbergs "Krieg der Welten" auf das Publikum in aller Welt losgelassen wird, muss den Leuten einen Schauer über den Rücken jagen. Und den verantworten nicht die Aliens.

FRITZ GÖTTLER

Kurz nur währt die Illusion in diesem Film, die Illusion einer Gesellschaft, einer Welt, in der wir alles im Griff haben. Langsam setzt in der ersten Szene ein Lastkran im Hafen von New York einen Container auf einem anderen ab, placiert ihn behutsam, millimetergenau. Dann kommt der Schichtwechsel, der Mann verlässt seinen Arbeitsplatz und eilt davon, weist unwirsch die Bitte eines Schichtführers zurück, ob er nicht einspringen könnte für einen Kollegen. Wild kurvt er mit erhöhter Geschwindigkeit nach Hause, in die Reihenhaussiedlung von New Jersey.

Dieser Anfang ist, angesichts dessen, was schon wenige Minuten danach folgt, der reine Sarkasmus, mit einem zynischen Unterton - etwas also, was es in einem Spielbergfilm bislang nicht gegeben hat. Nein, dieser Ray Ferrier hat sein Leben nicht im Griff, sein eigenes nicht und nicht das seiner Ex und seiner zwei Kinder, die er übers Wochenende in Obhut nehmen soll. Das wäre dann eine dieser Rumpffamilien, von denen Spielberg immer wieder erzählt, die sich in Stunden der Bedrohung - der äußeren, physischen wie der inneren, emotionalen - zusammenfinden und bewähren. Für solche hoffnungsvolle erzählerische Mechanismen ist in diesem grausamen, blutigen, trostlosen "Krieg der Welten" kein Platz.

Man kann sich ausmalen, wie die Paramount-Studiobosse in Hollywood vor einiger Zeit reagierten, als sie diesen Film schließlich sahen, der zwar 138 Millionen Dollar kostete, aber einige zuverlässige Erfolgsfaktoren aufzuweisen hatte: den Top-Regisseur Spielberg, den Superstar Tom Cruise, einen klassischen Stoff, den Roman von H.G. Wells von 1898, von Orson Welles in einem mittlerweile zum Klassiker avancierten Hörspiel und von Byron Haskin in einem schönen Fünfzigerjahre-Genrefilm weiterverarbeitet. Was jetzt auf das Publikum in aller Welt losgelassen wird, wird den Leuten einen Schauer über den Rücken jagen, und es hat nichts von dem Fun, der irgendwie auch dem härtesten Horrorfilm eignet - was wir in unserer europäisch-intellektuellen Perspektive als kathartischen Effekt deklarieren.

George Romeros "Land of the Dead", der eine Woche zuvor in den USA startete - der vierte Teil seiner legendären Zombie-Serie -, ist eine fröhliche Splatter-Geisterbahn dagegen.

Am Anfang tummelt sich der Film ein paar wunderbare Minuten lang im Spielbergland. Es ist Feierabend in New Jersey, das Licht ist schwer, eine baudelaireanische Trägheit liegt über der Stadt, sie hat ihr Tagwerk geleistet.

Eine robuste, derbe Idylle, nicht ohne Macken. Es ist das Unterschichtenamerika, das von der Regierung und der Bürokratie immer weniger beachtete, das sich dadurch nur noch enger zusammenschließt. Wäsche flattert auf den Leinen in den Hinterhöfen. Frauen gehen mit ihren Kindern im Arm herum. Väter üben ein paar Baseballwürfe mit den Söhnen, versuchen dabei auch ein wenig ihr Verhältnis zueinander - zwischen Ray und seinem Sohn Robbie - zu klären.

Wenig später entlädt sich ein schreckliches Gewitter über der Stadt, legt alle elektrischen Geräte lahm. Kurz danach bricht der Boden auf, und der erste der riesigen Tripods, der Alien-Kampfmaschinen, beginnt sein zerstörerisches, mörderisches Werk - diese Tripods sind eine böse ironische Replik auf den Kranführer Cruise vom Beginn.

Panik, Flucht, Desaster. Szenen, die die Amerikaner von den regelmäßigen Naturkatastrophen kennen, den Überschwemmungen und Hurrikans, aber nicht vom Krieg, auf eigenem Grund und Boden. Katastrophenbilder, die man in Europa aus den Jahren des Zweiten Weltkriegs kennt - die Gedenkfeiern zum 60.Jahrestag seines Endes haben sie wieder stark ins Gedächtnis zurückgerufen.

Sind das die Europäer, die uns hier attackieren, fragt einer der verwirrten Flüchtigen, auch das ist der reine Sarkasmus.

Der Film macht auf dunkle, schonungslose Weise die Verstörung spürbar, die immer noch, immer stärker womöglich, Amerika nach dem 11.September gepackt hält.

Das Bild, das sich am stärksten in meine Erinnerung eingebrannt hat, sagt Spielberg, das ist, wie alle über die George Washington Brücke aus Manhattan fliehen.

Es ist eine knallharte Neiddiskussion, die in diesem Film geführt wird, in großer Dimension und auf unerhört radikale Art.

Irgendwo in den Weiten des Weltalls, wird uns erklärt, hocken fremde außerirdische Wesen, die echt neidisch sind auf unseren wunderschönen Planeten. Und die einen langfristigen, auf Millionen von Jahren angelegten Plan schließlich in Gang setzen, um die störende Menschheit darin auszulöschen.

Man darf sich nicht wundern, so eine Geschichte von Spielberg, dem "E.T."-Filmer serviert zu bekommen - schon vor diesem SF-Klassiker, also bald nach den "Close Encounters" hatte der Meister bereits überlegt, eine feindliche Übernahme durch Aliens zu fabrizieren.

Der Terror ist von Anfang an wesentlicher Teil des Spielbergkinos, seine Action besteht meistens aus Fluchtbewegungen, kennt keine organisierte Gegenwehr - ein infantiles Versteckspiel.

Tom Cruise ist als Vaterfigur ein absoluter Versager, und er muss sich das von seinem Sohn ins Gesicht sagen lassen.

Robbie will dagegen in die andere Richtung, er will zu den Soldaten, will sehen, was sich auf der anderen Seite des Hügels abspielt, ob es eine Chance zur Gegenwehr gibt. Ray verkriecht sich mit der Tochter Rachel (Dakota Fanning) in einem alleinstehenden Haus, mit einem verrückten Alten (Tim Robbins), der an die Veteranen des amerikanischen Bürgerkriegs erinnert.

Wie diese würde auch er diesen Krieg am liebsten allein kämpfen.

Man kann inzwischen verstehen, warum die Studioleute im voraus nichts über den Film herauslassen wollten - was zu absurden Prozeduren bei Vorpremiere und Pressevorführungen führte, aber auch zu überzogenen Protestverrenkungen der betroffenen Kritiker.

Es gibt Momente und Sequenzen in diesem Film, die sind von eindringlicher Schönheit, sind ein Crashkurs ursprünglicher - manchmal zarter, manchmal grausamer - Kinoerfahrung, den man nicht zerreden sollte.

Man schließt die Augen, gewissermaßen, und wenn man sie wieder öffnet, hat die Welt sich verändert. Ob die Kritiker-Embargo-Taktik Schule machen wird bei den Blockbuster-Studios, wird man sehen - wichtiger ist, ob nach dem bisherigen faden Zutatenkino wieder ein paar Fleischbrocken kommen.

Bei der Flucht hatte der Vater Ray dem Sohn aufgetragen, zusammenzuraffen, was an Verpflegung in Griffweite war. Beim ersten Zwischenstopp soll der Sohn auspacken - und präsentiert Soßen, nichts als Soßen. Mehr gab es nicht in diesem Haushalt.

WAR OF THE WORLDS, USA 2005 - Regie: Steven Spielberg. Buch: Josh Friedman, David Koepp. Nach dem Roman von H.G. Wells. Kamera: Janusz Kaminski. Musik: John Williams. Schnitt: Michael Kahn. Mit: Tom Cruise, Justin Chatwin, Dakota Fanning, Tim Robbins, Miranda Otto, David Alan Basche, Yul Vazquez, Daniel Franzese. UIP, 116 Min.

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SZ v. 29.06.2005
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