Süddeutsche Zeitung

Schauspielhaus Hamburg:Krieg der Welten

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Im Serienformat: Nach dem großen Erfolg von "Radio Briest" und "Radio Karenina" inszenieren Clemens Sienknecht und Barbara Bürk nun auch "Die Nibelungen" als grelle Radioshow im Deutschen Schauspielhaus Hamburg.

Von Till Briegleb

Sie haben es wieder getan. Eine Inszenierung recycelt. Genauso begonnen und genauso geendet. Dazwischen alles wiederholt, was bekannt war aus den erfolgreichen Vorgängern "Effi Briest" und "Anna Karenina": die Bühne, die Struktur, die Kostüme, die Albernheit, die Tänze, die ganze Radioshow. Ja, es ist eine echte Serie, was Clemens Sienknecht und Barbara Bürk seit 2015 am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg inszenieren, tragische Frauenschicksale der Weltliteratur, "allerdings mit anderem Text und auch anderer Melodie", wie der Untertitel stets lautet.

Diesmal allerdings mit anderer Größe und auch anderer Zahl. Denn wegen des großen Erfolgs von "Radio Briest" und "Radio Karenina" hat "Radio Walhalla" Premiere im Großen Haus, und besungen werden in "Die Nibelungen" gleich zwei Betrogene: Kriemhild und Brunhild, betrogen um ihren Mann, ihre Ehre, ihren Besitz, aber vor allem, um Ernst und guten Geschmack. Wobei, das ist Ansichtssache. Das mit dem guten Geschmack. Es mag Menschen geben, die finden lila glitzernde Riesenstrampler zu beigem Rollkragenpullover, darunter silberne Plateau-Schuhe, darüber Vokuhila, stilistisch heute total verkannt.

Star-Treker in bunten Schlafanzügen brauchen vielleicht auch nur etwas mehr Zeit, um der neue Mode-Schrei zu werden, ebenso wie Minipli, gereimte Werbeansagen und peinliche Fernseherinnerungen an Superpflaumen wie Stanley Beamish aus "Immer, wenn er Pillen nahm". Und benötigt vielleicht auch der Wellensittich nur ein paar kompetente Fürsprecher, um aus den Kinderzimmern der Siebziger als Stiladler in die Gegenwart zu fliegen?

Die Siebziger, jedenfalls so ungefähr, liefern den Nibelungen-Schatz aus dem Ausstatterin Anke Grot diese Festspiele ästhetisch komponiert hat. Und Siggi Stargast, der Sienknecht himself, gibt darin mit seiner Gang singender Horrorperücken die ganze Saga in Dackeltreue zum Originalstoff. Es wird geminnt, verraten und gerächt, dass sich das Universum krümmt in diesem Krieg der Welten, wo König Etzel eine Art Klingone ist, die Sachsen aus dem All angreifen und der Warp-Antrieb mit einem kleinen roten Hebel an einem Sperrmüllsessel aktiviert wird. Aber eigentlich geht es in diesem Sci-Fi-Fasching aus der Zeit vor dem Spezial-Effekt ja um die Musik.

Und wie schon zuvor werden Pop-Evergreens der Ü-40-Generation passend gemacht für die Bordunterhaltung. Der Held Siegfried mit der Brian Connolly-Perücke rappt Ansagen, indem er 34 Songtitel hintereinander spricht. "Why can't we live together" von Timmy Thomas (besser bekannt durch Sade) passt in die Zerwürfnisse am Wormser Hof ebenso vorteilhaft hinein wie Genesis' "Carpet Crawlers" in die Rache-Kapitel. John Williams Star Wars-Musik dient zum skurrilen Familienkonzert mit quietschender Geige und quäckigem Horn. Und "Tragedy" von den Bee Gees passt natürlich auch in diese lustige Trägödie. Diesmal dem Hannoveraner Ableger des Formats mit "Madame Bovary" von 2016.

Es ist wirklich wie in einer süchtig machenden amerikanischen Comedy-Serie. Da sind die geliebten Hauptdarsteller (Markus John hier als Hagen von Tronje, Ute Hannig als Kriemhild, Yorck Dippe als König Gunther und Michael Wittenborn als Hunnenkönig Etzel), dazu der Musikanten-Nerd für alle Instrumente (diesmal als Volker von Alzey: Friedrich Paravicini). Es gibt die Gastrolle Brunhild (Lina Beckmann) und die kleinen veränderten Details in einer altbekannten One-Room-Show (etwa blinkende und stöhnende Knöpfchen und grüne Oszillatoren).

Man will alles so haben wie immer, nur mit neuen Sprüchen, neuen Songs und neuen Perücken. Und bitte genauso lustig und nostalgisch und schräg. Das ist die Nibelungentreue zum gelungenen Format. Doch anders als in dem blutrünstigen Finale des originalen Stolzdramas, wo diese so unangenehm deutschnational und humorlos zum Blutbad führt, taugt sie in der feminisierten Verkleidungsschlacht des Glam-Rock-Zeitalters zum großen Humorsieg. Aber bevor man sich leise an Schweinchen Dick erinnern kann, an: "Wer hat an der Uhr gedreht?", ist es wirklich schon zu spät. Die Show ist vorbei, aber sie kommen wieder, wird versprochen: mit der Bibel. Vermutlich mit anderem Text und auch anderer Melodie.

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Quelle:
SZ vom 04.10.2019
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