Süddeutsche Zeitung

Schauplatz London:Die spannendste Frau im Königreich

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Die Briten lieben Hilary Mantels Romane. Nur damit, was die Autorin zur Monarchie zu sagen hat, können sich nicht alle anfreunden.

Von Cathrin Kahlweit

Lange bevor der sehnlichst erwartete letzte Teil von Hilary Mantels Thomas-Cromwell-Trilogie in Großbritannien erschien, war der Hype immens: Erst heizte eine mysteriöse Holztafel mit einer Tudor-Rose am Leicester Square Gerüchte an, Mantel sei fast fertig mit dem neuen Opus. Dann berichtete das Fachmagazin The Bookseller, ein kurzes Verlagsvideo mit Impressionen des Covers - blaue Wellen, die durch Waldgrün brechen - und Zitaten aus dem zukünftigen Bestseller sei innerhalb von 24 Stunden mehr als 10 000-mal aufgerufen worden. Noch vor dem Erscheinungsdatum am 5. März überschlugen sich britische Kritiker vor Begeisterung. Der Daily Telegraph verglich "The Mirror & the Light", in dem die letzten vier Lebensjahre des Beraters von Heinrich VIII. und die Zustände bei Hofe in komplexer und poetischer Detailarbeit abgehandelt werden, mit Tolstois "Krieg und Frieden". Und der Evening Standard beschloss, selbstredend verdiene das neue Opus von Hilary Mantel den Booker Preis, den wichtigsten Literaturpreis des Landes - wie die beiden Vorgänger "Wolf Hall" (2009) und "Bring Up the Bodies" (2012) zuvor auch.

So viel Marketing und Lob war selten. Die Vorbestellungen explodierten. Und auch Nachbestellungen der ersten zwei Bände (auf Deutsch: "Wölfe" und "Falken") gingen durch die Decke. Die historischen Romane, die Anfang des 16. Jahrhunderts spielen und im Zentrum nicht etwa den bedeutenderen, späteren Lordprotektor Oliver Cromwell, sondern den zum Lord aufgestiegenen Sohn eines Schmieds, Thomas, zum Thema haben, kommen mittlerweile auf eine Auflage von 1,5 Millionen.

Als das Buch auf den Markt kam, strahlte der Verlag Mantel zu Ehren sogar den Tower of London an. Zeitweilig gab es kein Halten mehr: alle sieben Sekunden ging, Medienberichten zufolge, ein Exemplar von "The Mirror & the Light" über den Ladentisch.

Mantel ist auf der Insel so populär wie umstritten: als Autorin ist sie international erfolgreich. Als Intellektuelle, Monarchie-Kritikerin und political animal mit sehr dezidierten Ansichten über die britische Gesellschaft wird sie regelmäßig beleidigt und angegriffen. Viele Fans mögen ihr nicht verzeihen, dass sie die Duchess of Cambridge, Kate Middleton, einst als "Schaufensterpuppe ohne Persönlichkeit" beschrieben, den Umgang der Briten und des Hofs mit Meghan Markle indes als rassistisch bezeichnet hat.

Mantel ist kein einfacher Star. Sie ist offensiv geschäftstüchtig. Sie ist Feministin. Und sie ist wütend. Auf Ärzte, die ihren Körper misshandelten, auf Männer, die ihr vom Schreiben abrieten. Darüber schreibt sie nicht nur, sie spricht darüber. Derzeit ist sie die vielleicht spannendste Frau im Königreich.

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SZ vom 25.03.2020
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