Süddeutsche Zeitung

Samuel Beckett in Nazi-Deutschland:Unspeakable Eintopf

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"Ich bin froh, wenn ich hier weg bin": Der Schriftsteller Samuel Beckett reiste in den dreißiger Jahren durch Nazi-Deutschland. Ein Buch erzählt von seinen Begegnungen mit dem Antisemitismus und Hitlers Hasstiraden.

Thomas Senne

19. Februar 1937: Es ist spät in der Nacht, als Samuel Beckett mit dem Zug in Bamberg ankommt. Vom Bahnhof geht er unverzüglich in die Adolf-Hitler-Straße und steigt dort im Hotel "Drei Kronen" ab - eine Unterkunft, die ihm sein Reiseführer, der Baedecker, empfohlen hat. "Look at lovely Bamberg", notiert Beckett tags darauf mit kleiner Schrift in eines seiner Tagebücher, die er bei sich hat. Er isst ein "Bauernomelett", trinkt im Traditionslokal "Schlenkerla" Rauchbier ("excellent") und besucht die Sehenswürdigkeiten: "The Reiter", das berühmte Reiterstandbild im Dom, ebenso wie die "Neue Residenz". Der Kurzaufenthalt in der oberfränkischen Bischofsstadt markiert den Beginn einer mehrwöchigen Sightseeing-Tour durch Bayern, die den damals 30-jährigen Schriftsteller über Nürnberg und Regensburg zu guter Letzt auch nach München führt.

Von 1936 bis 37 bereiste Samuel Beckett ein halbes Jahr lang Hitler-Deutschland. Es war ein Aufenthalt, den er in Hamburg begonnen und nach Zwischenstationen in Berlin und Dresden schließlich im weiß-blauen Freistaat beendet hatte. Dass man nun mehr über diesen Abschnitt seines Deutschland-Trips erfahren kann, ist dem Nürnberger Steffen Radlmaier zu verdanken. Sein jetzt erschienenes Buch "Beckett in Bayern. Ich bin froh, wenn ich hier weg bin" konzentriert sich, wie der Titel schon sagt, auf den Besuch bayerischer Städte durch den berühmten Schriftsteller und ist eine wahre Trouvaille. Anhand von Textauszügen der bislang weitgehend unveröffentlichten "German Diaries" sowie mit Hilfe von Briefen, Sekundärliteratur und dem Œuvre des Dichters rekonstruiert Radlmaier die Reise anschaulich und macht deutlich, dass ihr Beckett wichtige Impulse verdankt.

Zwar gab es zuvor schon Publikationen über dessen Deutschlandbesuch in den dreißiger Jahren, etwa über seine Tage in Hamburg oder Berlin. Doch seit der Neffe des irischen Schriftstellers, Edward Beckett, untersagt hatte, weiter ausführlich aus den "German Diaries" zu zitieren - da er die Notizen seines Onkels unverständlicherweise für rein private Anmerkungen hält -, war es um die sechs "Deutschen Tagebücher" ruhig geworden. Heute werden sie in der englischen Universität Reading aufbewahrt und können dort von Fachleuten eingesehen werden. Nach dem Tod von Samuel Beckett wurden die Kladden in einer Kiste im Keller seiner Pariser Wohnung am Boulevard Saint-Jacques gefunden: ein schwarzes Heft sowie fünf Notizbücher mit rotem Einband und der Aufschrift "Memo Book".

Dass Steffen Radlmaier trotz des Verbots Passagen aus den deutschen Tagebüchern mit anderen Textquellen zu einer spannenden Lektüre montiert hat, bietet die einmalige Gelegenheit, den Klassiker des Absurden bei seinen Monologen über ästhetische Konzepte, über Filme, Musik, Literatur und Theater, aber vor allem über Malerei quasi privatim zu belauschen.

Hageres Gesicht, nach hinten glatt gekämmte, gegelte Haare, Nickelbrille und forscher Blick - auf einer Fotografie aus der Zeit seiner Deutschlandvisite blickt der junge Beckett smart, aber ernst in die Kamera. Zu lachen hatte er damals nicht viel. Versuche, mit seinem Roman "Murphy" literarisch Fuß zu fassen, waren erfolglos geblieben. Er litt unter gesundheitlichen Problemen, hatte einen Ausschlag im Gesicht und einen schmerzhaften Furunkel am Gesäß. Finanziell war der Schriftsteller vollkommen von seiner Mutter abhängig, die ihm deswegen andauernd Vorwürfe machte. Kurzum: Beckett befand sich in einer veritablen Lebenskrise. Zudem waren gerade sein Vater und seine Jugendliebe Peggy Sinclair gestorben, eine Cousine, die er immer wieder in Kassel besucht hatte. So bot die Bildungsreise nach Deutschland eine willkommene Abwechslung, war aber auch eine Art Vergangenheitsbewältigung - ein Abschied von unbeschwerteren Zeiten.

In den Tagebüchern finden sich immer wieder Hinweise auf Museumsbesuche, denn Beckett war ein großer Kunstliebhaber. Er sprach gut Deutsch und hatte sich diese Sprache als Autodidakt angeeignet, um Goethe, Schopenhauer und Hölderlin im Original lesen zu können. Gerne zeichnet Beckett Skizzen in seine Tagebücher, hält aber auch Reisedaten, Lektürenotizen und Zitate akribisch auf Papier fest - oft in einem skurrilen Kauderwelsch aus Englisch und Deutsch. "Unspeakable Eintopf", "Hundewetter again" oder "Concert SS Blaskapelle" sind nur ein paar Kostproben dieser bilingualen Wortschöpfungen.

Eigentlich ist "Sam", wie er seine Briefe an Freunde unterzeichnet, eher unpolitisch, der Antisemitismus aber und die Hasstiraden Hitlers, die er im Radio hört, widern ihn an. Aufmerksam verfolgt er die Diskussion um die sogenannte entartete Kunst, ja wird im fränkischen Staffelstein, wo er Balthasar Neumanns Basilika Vierzehnheiligen besucht, sogar in einen politischen Disput verwickelt. Seine Erwähnung des jüdischen Malers Max Liebermann führt in einem dortigen Lokal nämlich zu antisemitischen Bemerkungen der Wirtshausgäste, was den Schriftsteller erschreckt. "Bath. Eat. Bed", schreibt er anschließend in sein Tagebuch, froh, nach diesem Vorfall und einer Busfahrt wieder in seinem Bamberger Hotel zu sein.

In München lernt Beckett auch das Warten

In Würzburg begeistern ihn die Fresken Tiepolos in der Residenz. Über den in Bocksbeuteln gereichten Frankenwein freut er sich ebenfalls. Als er allerdings in Nürnberg Station macht, ist Beckett von der "Stadt der Reichsparteitage" schwer enttäuscht. "Nürnberg war so schrecklich", teilt er später einem Bekannten mit. Dabei hatte der Dichter große Erwartungen gehabt, den Geburtsort Albrecht Dürers näher kennenzulernen. Schließlich hingen einst dessen "Betenden Hände" als Reproduktion im Dubliner Kinderzimmer Becketts. Nun muss er die "Naziflag am Haus der Braunen Front" zur Kenntnis nehmen, ist aber vor allem deshalb frustriert, weil er im Dürer-Haus und Germanischen Nationalmuseum vom verehrten Maler kaum Originale vorfindet. Diese kann der Gast aus Irland dann in München bewundern - in der Alten Pinakothek. Später wird er sich über die hohen Eintrittsgelder dieses Museums mokieren. "Eine Mark Eintritt ist ein bisschen gesalzen."

Vom 5. März 1937 an wohnt Samuel Beckett beim Siegestor direkt gegenüber der Kunstakademie in der "Pension Romana". Vom vielen Herumlaufen erschöpft, vertraut er seinem Tagebuch an: "Feel very tired". Trotzdem absolviert er an den folgenden Tagen brav das touristische Besuchsprogramm - mit Hofbräuhaus, Museen und allem, was dazu gehört. Im Hotel "Bayerischer Hof" lauscht er sogar einem Konzert mit Wilhelm Furtwängler am Klavier, äußert sich aber in einem Brief wenig schmeichelhaft über den berühmten Dirigenten. Er sah aus "wie ein wirbelloses Tier". Das Fazit des Musikliebhabers: "Es war furchtbar."

In München lernt Beckett auch das Warten. Zwar nicht auf Godot, jedoch auf einen nachtblauen Anzug, den er per Vorauszahlung bei einem zwielichtigen Bamberger Schneider in Auftrag gegeben hatte. Nach Wochen vergeblichen Wartens trifft der "Maßanzug" schließlich ein. "Grotesker Zuschnitt, Jackett zu weit und Hosen zu kurz", notiert er in sein Tagebuch. Eine Episode, die er in seinem Essay "Die Welt und die Hose" (1945) über die Malerei van de Veldes und in seinem Stück "Endspiel" (1957) literarisch verewigt hat. In München macht Beckett auch mit jemandem Bekanntschaft, den manche für einen Vorläufer des absurden Theaters halten: Karl Valentin.

Mit seinen grotesken Sketchen war er gewiss eine Art Ideengeber für den Iren. Im Kabarett "Benz" bewundert er den Komiker bei einer Vorstellung. Die persönliche Begegnung der beiden verläuft dann allerdings etwas anders als erwartet. "Crazy", so der lakonische Kommentar Becketts. Mit einer Taschenlampe in der einen und einem weiß bepelzten "Winterzahnstocher" in der anderen Hand führt Valentin Beckett und einen Filmschauspieler "in seinem neuen Museum" durch ein Labyrinth finsterer Gänge. Im bairischen Dialekt murmelt er ständig Unverständliches vor sich hin, um sich dann urplötzlich von seinen Begleitern zu verabschieden und auf Nimmerwiedersehen zu verschwinden: eine Szene wie aus einem absurden Bühnenstück.

Als Beckett Anfang April 1937 von München nach London fliegt, ist er heilfroh, Bayern endlich wieder verlassen zu können - trotz der vielen Museen und Wirtshäuser dort. "Ich bin froh, wenn ich hier weg bin", schreibt er einem Freund und bekennt, sich "nur in einem Radius von einer halben Meile rund um den Marienplatz bewegt" zu haben: "Ich mag München nicht." Becketts Reise ins braune Bayern ist zwar nur eine biographische Randnotiz im Leben des weltberühmten Dichters, das knapp neunzig Seiten starke Buch darüber aber eine liebenswürdige Hommage an den Nobelpreisträger, dessen Geburtstag sich am 13. April zum 105. Mal jährt: ein Muss für jeden Literaturfreund, der sich in Bayern auf die Spuren von Samuel Beckett begeben will. THOMAS SENNE

STEFFEN RADLMAIER: Beckett in Bayern. Ich bin froh, wenn ich hier weg bin, Kleebaum Verlag, Bamberg 2011. 88 Seiten, 12,40 Euro.

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SZ vom 22.02.2011
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