Süddeutsche Zeitung

Serie: Jetzt im Museum:Ein Dandy für die Krise

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Ausgerechnet während der Pandemie gelingt der Hamburger Kunsthalle der größte Ankauf ihrer 150-jährigen Geschichte - und dann zeigt das Bild noch so einen arroganten Jüngling.

Von Till Briegleb

Dass die Hamburger Kunsthalle den teuersten Ankauf ihrer 150-jährigen Geschichte ausgerechnet im Krisenjahr 2020 tätigt, wo viele Künstler wegen der mangelnden finanziellen Nothilfe durch den Staat von Existenzängsten geplagt sind, lässt sich sicherlich kritisch wahrnehmen. Und dass dieser vier Millionen Euro teure Ankauf ein Selbstporträt Max Beckmanns zeigt, wie er als junger Künstler stolz, ja fast ein wenig arrogant seine Ambitionen auf eine große Karriere als Maler ausdrückt, mag vor den schweren Sorgen zeitgenössischer Künstler in der Pandemie beinahe wie Spott wirken.

Aber solch eine symbolische Interpretation hat natürlich wenig mit den konkreten Bedingungen derartiger Erwerbungen zu tun. Der Kauf des wichtigen Bildes für die Sammlung war eine Gelegenheit, die Alexander Klar, der Direktor der Kunsthalle, trotz Krise wahrnehmen musste, um das "Selbstbildnis Florenz" von 1907 fest für das Haus zu sichern. Obwohl es als Dauerleihgabe bereits seit 1991 in der Kunsthalle zu sehen ist, garantiert nur ein Ankauf, dass das auch so bleibt. Klar kennt die Gefahr unerwünschter Fluktuation von Dauerleihgaben gut. Als er sich bei seinem Amtsantritt im Sommer 2019 den Katalog zur Eröffnung des Erweiterungsbaus Galerie der Gegenwart 1997 angesehen habe, so erzählt der neue Direktor, "musste ich feststellen, dass von den damals ausgestellten Werken heute so gut wie nichts mehr in der Sammlung ist".

Vor allem Stiftungen brachten die geforderten vier Millionen Euro auf

Da er sich mit den Erben auf die Hälfte des am Markt zu erwartenden Preises einigen konnte und sich im Verlauf des vergangenen Jahres fünf Stiftungen für den Erwerb des frühen Werkes gewinnen ließen (neben den hauseigenen die Hermann-Reemtsma- und die Ernst-von-Siemens-Stiftung sowie die Kulturstiftung der Länder), war der Rekordankauf eine Bestandssicherung, für die kaum öffentliche Gelder beansprucht wurden. Und auf diesem Weg will Alexander Klar weiter verstärkt versuchen, die große Menge an Dauerleihgaben, die in der Kunsthalle sind, durch Ankäufe und Schenkungen zu senken.

"Ich will eine Sammlung aufbauen, die belastbar diesem Haus auch gehört", sagt Klar über seine zukünftige Sicherungsstrategie. Da die staatliche Subvention bei der Kunsthalle wie bei den meisten anderen öffentlichen Museen in Deutschland nur für Miete und Gehälter reicht, müssen andere Wege gefunden werden, um Bestände nicht nur zu bewahren, sondern auch zu entwickeln. Da Werke aus Privatbesitz mit der Adelung durch Museumspräsenz stark an Wert gewinnen, will Klar solche Kooperationen verstärkt an die Bereitschaft zu späterer Schenkung einzelner Werke koppeln. Damit Museen nicht nur "Durchlauferhitzer" für private Sammlungen sind, müssten Gegenleistungen vereinbart werden. Gegenwartskunst will Klar vermehrt über Produktionsetats bei Ausstellungen erwerben, eine neue Form der Auftragskunst.

Größenordnungen wie beim Erwerb des Beckmanns aber werden für deutsche Museen die Ausnahme bleiben, auch für das Frankfurter Städel, das mit einem ähnlichen Stiftungskonsortium, aber deutlich höherem Einsatz ebenfalls 2020 Beckmanns "Selbstbildnis mit Sektglas" erwerben konnte. Im Gegensatz zu dem Frankfurter Bild von 1919, das vom typischen Beckmann-Stil massiver Körperlichkeit und der Dominanz der Umrisse geprägt ist, gehört das Hamburger Frühwerk zu den impressionistischen Selbstporträts, die Beckmann mit Anfang zwanzig gemalt hat. Die stille, frontale und farblich eher zarte Selbstinszenierung als rauchender Dandy in Italien, die Beckmann während eines Stipendiums in Fiesole malte, gilt als das zentrale Übergangsbild zu der "ikonischen Phase", in der Beckmann seinen unverwechselbaren Stil entwickelte. Die psychologische Voraussetzung für die spätere Originalität, ein starkes Künstlerego, ist in dem Selbstbildnis von 1907 aber bereits fest eingeschrieben. Und so gesehen mag es trotz der depressiven Krisenzeit auch Trost und Vertrauen in die Zukunft signalisieren.

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