Süddeutsche Zeitung

"Zeit für Bartók" bei den Salzburger Festspielen:Extremes Aufführungsabenteuer

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Ob im Recital mit der Geigerin Patricia Kopatchinskaja und dem Pianisten Fazil Say oder im Kammerkonzert um András Schiff: Die Musik Béla Bartóks reißt mit - und das Publikum zu Jubelstürmen hin.

Von Harald Eggebrecht

Wie sie Pizzicati ins Publikum wirft, sich rhythmisch auslebt, wie sie nicht einfach nur glänzend Violine spielt, sondern fern jeder Routine um ihr Leben geigt, wie sie Klangfarben aus dem Moment heraus erfindet, wie sie Musik gleich welcher Art zum Abenteuer des Hier und Jetzt macht - all das vermag Patricia Kopatchinskaja zusammen mit ihrem ähnlich denkenden und musizierenden Klavierpartner Fazil Say so unmittelbar und aufregend, dass das Publikum in Beifallsstürme ausbricht. Und dass bei höchst anspruchsvoller Musik wie der von Béla Bartók, Leoš Janáček oder Maurice Ravel. So geschehen am vergangenen Sonntag im Recital im Großen Saal des Salzburger Mozarteums.

Auch zwei Tage zuvor beim Kammerkonzert um den Pianisten András Schiff mit Isabelle Faust (Violine), Daniel Ottensamer (Klarinette), Dénes Várjon (Klavier), Martin Grubinger und Erwin Falk (Schlagzeug) tobte am Ende der Saal im Haus für Mozart. Dabei gab es hier ebenfalls "nur" Béla Bartók, aber vom Feinsten. Nach der Pause war die Bühne vollgeräumt mit zwei Flügeln und dem Arsenal von Kesselpauken, Trommeln, Xylophonen, Triangel, Becken bis zum großen Tamtam. Schiff und Várjon setzten sich wie einst Bartók und seine Frau bei der Uraufführung 1938 in Basel mit dem Rücken zum Saal an die Tasteninstrumente, Grubinger und Falk traten ans Schlagwerk. Alle zusammen entfalteten nun eine wilde, ungemein klang- und bewegungsreiche, dabei sehr präzise Choreografie des Miteinander- und Gegeneinanders, die alle im Saal unwiderstehlich in den Bann zog und eine derart heftige Begeisterung auslöste, dass die vier Musiker das Finale von Bartóks Sonate für zwei Klaviere und Schlagzeug wiederholen mussten.

Bartóks Violinsonaten sind höchst virtuos, rhythmisch vertrackt und schwer zu spielen - hier gelingen sie perfekt

Beide Abende im Festival-Schwerpunkt "Zeit für Bartók" waren alles andere als ovationssichere Reißerkonzerte. So gelten die beiden Violinsonaten, 1921 und 1922 komponiert für die glänzende Geigerin Jelly d'Arányi, eine Großnichte des legendären Violinpapstes Joseph Joachim, gemeinhin als die Stücke, bei denen Bartók den Ideen von Arnold Schönberg und dessen Zweiter Wiener Schule besonders nahe kam: harmonisch dissonant, Tonwiederholungen vermeidend, Melodiebögen in Großdistanzen deutlich über die Oktave ausdehnend, harsche Gegensätze von Fortissimo-Attacken gegenüber fast tonlosen Pianissimo-Strecken. Dass beide Stücke dabei höchst virtuos, rhythmisch vertrackt und daher schwer zu realisieren sind, kommt hinzu. Die extremere erste Sonate in drei Sätzen spielten Kopatchisnskaja / Say nicht einfach perfekt, sondern sie schleuderten sie geradezu heraus in all ihren harmonischen Härten, wüsten Attacken und dann wieder versonnen grübelnd in ihren traumverlorenen Einsamkeiten. Dass bei aller Vorbereitung das imponierende Streben der beiden nach einem Schöpfungsakt aus dem Augenblick heraus auch die Gefahren von Lokaleffekten und Willkürakten bergen kann, gehört zum Risiko solcher Aufführungsabenteuer.

Dagegen hatten Isabelle Faust und András Schiff die zweite zweisätzige Sonate fast gläsern dargeboten, trotz der Schärfen und Rabiatheiten, aber eben auch in ihrem intimen Sinnieren und ihrer zarten Klangfarbenmalerei. Wer je Aufnahmen von Béla Bartók selbst kennt, ahnt, woran sich Schiff in seinem Spiel orientiert. Und Isabelle Faust verliert auch im wildesten Getümmel nie die Übersicht. Zuvor hatten die beiden mit dem Soloklarinettisten der Wiener Philharmoniker, Daniel Ottensamer, eines von Bartóks bekanntesten, trotzdem nicht oft im Konzert zu hörenden Werken aufgeführt. Bartók hatte es für den großen Klarinettisten Benny Goodman und den fulminanten Geiger Joseph Szigeti geschrieben und 1940 mit beiden in der New Yorker Carnegie Hall uraufgeführt: "Kontraste". Da geht es nicht um die Verschmelzung, sondern um die Ausdifferenzierung der klanglichen Eigenheiten. In Salzburg brauchte es ein wenig, bis der Eindruck verschwand, man spiele nicht so sehr mit-, sondern eher nebeneinander. Dann aber entfaltete sich der beredte Witz dieses Dreiergesprächs.

Bartóks "Bauernmusik" hat nichts mit Volkstümlichkeit zu tun

Dass Bartók "Bauernmusik" in Ungarn, Rumänien und sogar in Nordafrika gesammelt und vor dem Vergessen bewahrt hat und sich in der eigenen Fantasie von der Unfrisiertheit solcher Musik inspirieren ließ, ist bekannt. Dergleichen hat nichts mit Volkstümlichkeit zu tun, der zu Recht der unangenehme Beigeschmack anhaftet von vermeintlicher Bodenständigkeit, ungekünstelter Popularität und anbiedernder Gefälligkeit: das sogenannte Volkstümliche gegen das Avantgardistische, Abgehobene, das nur ein paar arrogante Bildungsschnösel interessiert, nicht aber die "breite Masse des Volkes". Neue, zeitgenössische Musik hat es seit über hundert Jahren schwer, sich dergleichen Abwertigkeiten erfolgreich zu widersetzen. So sind Bartóks rumänische Volkstänze, mit denen Kopatchinskaja und Say ihren tollen Abend begannen, nicht einfach "Volksmusik", sondern raffinierte Kunstwerke.

Auch Leoš Janáčeks Violinsonate erklang als idiomatische Musik. Janáček nahm nicht nur "Volksmusik"-Gesten auf, sondern versuchte, den Sprechduktus in die Musik zu integrieren. Daher die Kurzmotivik, das heftige An- und Abschwellen von Phrasen oder Einwürfen. Kopatchinskaja und Say zeigten, dass daran nichts "tümlich" ist, sondern Janáček in ureigener Musiksprache spricht: Ausbrüche neben zartesten Klanggespinsten, Donnern gegen Flüstern und manchmal lange Kantilenen. Dagegen ist Ravels "Tzigane", übrigens auch für Jelly d'Arángyi komponiert, extrem ausgeklügelt, in dem zigane Spontaneität nur vermeintlich herrscht. Kopatchinskaja und Say ließen dieses kalkulierte Kunststück nicht einfach abschnurren, sondern erfüllten es mit glühendem Leben. Zwei Zugabesätze aus der d-Moll-Sonate von Johannes Brahms, und schon waren sie in ganz anderen Regionen.

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