Süddeutsche Zeitung

Sachbuch:Kunst und Freiheit

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Ein Band über "Böhmische Spuren in München"

Von Antje Weber, München

"Ich kann nichts dafür, daß mir München wie eine Kleinstadt vorkam", schrieb der Prager Schriftsteller Jan Neruda 1863 nach seinem Aufenthalt. Mit wenigen Ausnahmen wirkten auf ihn "die Stadtteile still, manche fast tot. Die Geschäfte bleiben, was die Eleganz anbelangt, weit hinter denen in Prag zurück, die Häuser sind meist unhübsch, die Gassen unregelmäßig, eng, schlecht gepflastert oder gänzlich ohne Pflasterung". Nerudas freundlicher Vorschlag: Die Münchner sollten doch "eines ihrer Siegestore oder die Propyläen oder auch ein Stück der Neuen Pinakothek verkaufen und sich dafür ein bißchen Pflasterung, bessere Kanäle und besseres Trinkwasser anschaffen".

Nerudas Eindrücke mögen nicht das beste Beispiel für die innigen Verbindungen zwischen Tschechen und Bayern sein, doch sie zeigen, wie unzählige andere Zeugnisse: Die Beziehungen zwischen Prag und München, zwischen Böhmen und Bayern waren schon immer intensiv. Ein neues Buch geht nun den vielfältigen Verbindungen nach: "Böhmische Spuren in München" (Volk Verlag) heißt das von Jozo Džambo für den Adalbert Stifter Verein herausgegebene Werk, in dem es um "Geschichte, Kunst und Kultur" geht. Das Buch soll, wie Džambo schreibt, eine "Mischung aus Dokumentation, Kulturführer, eine Essaysammlung, gewissermaßen auch ein Nachschlagewerk, auf jeden Fall eine Orientierungshilfe" sein. Das bebilderte Werk, bei dem ausgewiesene Kenner der Materie von Peter Becher bis Zuzana Jürgens mitgewirkt haben, löst diesen Anspruch auf alle Fälle ein.

"Abwechselnd erschienen München und Prag als Sehnsuchtsorte der Freiheit und der Demokratie", schreibt Becher. Während des Nationalsozialismus zum Beispiel emigrierten zahlreiche Münchner, von Oskar Maria Graf bis Thomas Theodor Heine, in die Tschechoslowakei. Nach dem Zweiten Weltkrieg fanden wiederum viele Sudetendeutsche in München Zuflucht, und nach 1968 wurde die Stadt für tschechische Oppositionelle zu einem "Ort des Atemschöpfens und des Neubeginns". Doch der faktenreiche Band erzählt auch von weniger bekannten Entwicklungen: So übte die Kunststadt München, insbesondere die Akademie der Bildenden Künste, seit Mitte des 19. Jahrhunderts eine besonders starke Anziehungskraft auf böhmische Studenten und Künstler aus, die hier 1885 unter dem Namen "Škréta" sogar eine Künstlergruppe gründeten.

Dass die Beziehungen jedoch wechselhaft waren, belegen auch die Erfahrungen von Franz Kafka. Der war dreimal in München und fand es zunächst "wunderbar". Ende 1916 jedoch war hier seine einzige Lesung außerhalb Prags anberaumt, in der Galerie Goltz in der Brienner Straße. Kafka las Gedichte von Max Brod, dann seine eigene Erzählung "In der Strafkolonie". Die Lesung war offensichtlich "ein grandioser Misserfolg", wie der Schriftsteller bekannte, der es bedauerte, diese "schmutzige Geschichte" überhaupt gelesen zu haben. Nach München jedenfalls reiste Franz Kafka nie wieder.

Böhmische Spuren in München , Dienstag, 18. Februar, 19 Uhr, Monacensia, Maria-Theresia-Str. 23

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SZ vom 14.02.2020
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