Süddeutsche Zeitung

Russenrock:Rockstars und Panzer

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Beim russischen Festival "Naschestwie" zeigt die Armee ihre Waffen. Deswegen sagen jetzt viele Bands ihre Auftritte ab.

Von Frank Nienhuysen

Es sieht bunt aus auf der Rasenfläche am Waldrand, mit Legosteinen im XXL-Format und Kindern, die daraus prächtige Städte bauen dürfen. Einen Hindernislauf wird es geben und einen Fechtkurs für die Kleinen, und was natürlich auch nicht vorenthalten wird auf der Internetseite, die Werbung für das Rockfestival "Naschestwie" macht, das sind die russischen Kampfjets SU-30, die in den Nationalfarben stolz durch die Luft sausen werden.

Die russische Armee ist seit 2014, dem Jahr der Krim-Annexion und der anschwellenden Patriotismuswelle, zu einem festen Bestandteil der größten Freiluftkonzert-Veranstaltung des Landes geworden, die seit fast zwei Jahrzehnten stattfindet. Von diesem Freitag an werden wieder mehr als hunderttausend Menschen drei Autostunden nordwestlich von Moskau bei Twer erwartet, Dutzende Bands und Stars treten auf, von denen die Rapper von Noize MC die wohl bekanntesten sind. Doch diesmal ist schon vor dem Rockfestival gehörig Lärm erzeugt worden, von jenen mindestens sechs Bands nämlich, die dem Spektakel aus Protest fernbleiben.

Seit Jahren mischt das russische Verteidigungsministerium beim Festival mit, platziert auf einem Areal Panzer und Infostände, lässt Kampfjets aufsteigen, und wenn der virulente Begriff vom "Anti-Woodstock" plastisch werden kann, dann womöglich durch Bilder von Frauen, die nicht mit Joint auf einer Decke sitzen, sondern in High Heels auf dem Panzerdeckel posieren. Für einige Künstler aber ist der Bogen überspannt. "Pazifismus und Anti-Militarismus sind für uns keine leeren Worte", schrieb die Rockgruppe Elysium auf ihrer Facebook-Seite. Die russische Band Pornofilme sagte ihre Teilnahme mit der Begründung ab, ihre wichtigste Bedingung sei es gewesen, "dass es keine Militär-Propaganda auf dem Festivalgelände gibt". Die Organisatoren von Naschestwie, was übersetzt übrigens Invasion heißt, hätten erst im Juni versichert, dass es diesmal keine Zusammenarbeit mit dem Verteidigungsministerium geben werde, sagte Bandleader Dmitrij Kusnezow dem Internet-Fernsehsender Doschd.

Weitere Gruppen folgten aus Solidarität, und dann erregte noch eine junge Sängerin in Russland immense Aufmerksamkeit, indem sie einfach gar nichts öffentlich erklärte, sondern still und leise für die Konzerttage absagte und sich ohne Begründung bei ihren Fans entschuldigte. Jelisaweta Gyrdymowa, 20 Jahre alt, ist unter dem Künstlernamen Monetotschka eine große Nummer in Russland, seitdem sie im Alter von 16 Jahren mit keckem Humor und einem Sinn für melancholische Alltagsreflexionen der russischen Jugend eine neue, mädchenhafte Stimme gab. Monetotschka spiegelt die Internet-Youtube-Generation ihrer Zeit und packt ganz offensichtlich die Seelen vieler junger Russen zwischen Kaliningrad und Wladiwostok. Ihr neues Album wird von Kritikern in Russland überschwänglich gelobt, aber kein Song davon wird zu hören sein auf dem Naschestwie-Festival.

Na und?, denken sich die Organisatoren und zeigen auf die vielen anderen Gruppen, die ja auftreten werden. Andrej Blednyj etwa von der Band 25/17 sagte, Panzer auf einem Rockfestival seien natürlich seltsam, wenn man sonst immer von Sex, Drugs and Rock 'n' Roll höre. Anderseits: "Ich habe nichts gegen Panzer. Im Gegenteil. Sollen die Leute selber entscheiden, ob sie lieber auf Panzern herumklettern oder Musik hören.

Oder sich besoffen im Dreck wälzen." Einer der größten Protagonisten der russischen und zuvor schon der sowjetischen Rock-Szene, Andrej Makarewitsch von der Band Maschina Wremeni (Zeitmaschine) würdigte dagegen solidarisch die Absagen, weil "Rock and Roll schon immer unter der Pazifismus-Flagge spielte und die Musik gegen den Krieg war". Er hat sich schon vor zwei Jahren mit einem Knall von der Veranstaltung verabschiedet, und zwar mit den Worten, "vor Panzern werde ich nicht mehr singen". Schewtschuk kann sich das leisten, für andere Künstler ist das gewaltig große Auditorium in einem Land mit 140 Millionen Einwohnern und entsprechendem Musikmarkt einfach eine zu große Chance. Und an die Militarisierung der Gesellschaft sind viele Russen ohnehin bereits gewöhnt. Oder durch sie abgestumpft. Längst sind die russischen Streitkräfte als Merchandiser auf anderen Feldern unterwegs, zum Beispiel in der Textil- und Spielzeugbranche.

Russische Streitkräfte sells. Jewgenia Kisseljowa, die Generaldirektorin der veranstaltenden Multimedia-Holding, sagte, die Ausstellung des Verteidigungsministeriums sei eine der beliebtesten Zonen auf dem Festivalgelände, das zeigten die Umfragen unter den Besuchern und auch unter den Künstlern. Und überhaupt, fragte sie in einem Interview der Online-Zeitung Medusa: "Würde etwa ein junger Künstler mit vegetarischer Überzeugung auch einen Auftritt absagen, wenn im nächsten Jahr ein Fleischkombinat das Festival sponsern würde?" Im Übrigen sei das Verteidigungsministerium weder Sponsor noch Investor, es handele sich um eine "freundschaftliche Zusammenarbeit zweier interessierter Seiten". Außerdem, so versicherte Kisseljowa, werde es in diesem Jahr überhaupt keine Panzer geben - "lediglich Militärtechnik auf Rädern". Den Rockfans wird der Unterschied vermutlich genau erklärt.

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Quelle:
SZ vom 03.08.2018
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