Süddeutsche Zeitung

Theater:Mit Beharrlichkeit ans Ziel

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Barbara Frey ist neue Intendantin der Ruhrtriennale. Sie beginnt das Festival leise, mit Schweizer Ruhe und Understatement. Dabei kann sie auch ganz anders - zumindest als Musikerin.

Von Christine Dössel

Theaterleute sind Nachtmenschen. Wenn eine Intendantin eine Premiere um fünf Uhr morgens ansetzt, ist das ungewöhnlich und im Fall von Barbara Frey sicher auch ein Tribut an die einstigen Kumpel im Revier, die in den Zechen des Ruhrgebiets um diese Zeit die Frühschicht antraten. Wo früher Kompressoren, Generatoren und Akkumulatoren röhrten, gibt es jetzt Musik von Ravel: Mit einem "Konzert im Morgengrauen" beginnt an diesem Samstag in der Maschinenhalle Zweckel in Gladbeck die Ruhrtriennale, gefolgt von einem Frühstück mit den Zuschauern im Freien. Keine staatstragende Eröffnungsrede wie sonst, kein Tamtam - es ist ein betont leiser, auf musikalischen Genuss und menschliche Begegnung setzender Auftakt. Eine tastende Annäherung der ohnehin nie laut auftrumpfenden Schweizerin Barbara Frey an ihr neues Aufgabenfeld und Publikum.

Die erste Intendantin des Schauspielhauses Zürich

Am Abend wird die 58-Jährige dann auch ihre Visitenkarte als Regisseurin abgeben. Sie inszeniert Edgar Allan Poes "Der Untergang des Hauses Usher", eine düstere Zerfallsgeschichte, die Frey zwischen den Maschinenungetümen der Zweckel-Halle in Szene setzt - womöglich eine Parabel auf unsere pandemische Zeit. Die werkgerechte, stimmungsvolle Adaption literarischer Texte, besonders aus dem Kanon der Hochkultur, und deren (sprach)musikalische Auslotung ist so etwas wie Freys Markenzeichen. Am Schauspielhaus Zürich, wo sie als erste Frau in der Geschichte des Hauses bis 2019 zehn Jahre lang Intendantin war, inszenierte sie zum Abschied die Erzählung "Die Toten" von James Joyce. Auch das eine Geisterstunde, kein finaler Knaller. Sie bringt diesen ihr wichtigen Abend mit in ihr Ruhrtriennale-Programm.

Berufen wurde die 1963 in Basel geborene Intendantin wegen ihrer "Führungskompetenz und Teamfähigkeit", und weil sie in Zürich gezeigt habe, "dass sie für ein offenes, neugieriges und lebendiges Theater auf höchstem Niveau steht", hieß es bei ihrer Vorstellung 2019. Drei Jahre lang, bis 2023, wird Barbara Frey nun die Ruhrtriennale leiten. Das vom visionären Gerard Mortier 2002 gegründete Kulturfestival findet in den alten Kokereien und Industriehallen zwischen Bochum, Duisburg und Essen statt und zählt mit einem Etat von 16 Millionen Euro zu den größten in Deutschland.

Sie kam über die Musik zum Theater, als Drummerin einer Rockband

Im vergangenen Jahr fiel es aus, offiziell wegen Corona, aber die Vermutung, dass die Absage auch mit der unliebsamen Intendantin Stefanie Carp zusammenhing, ist nicht so abwegig. Carp hatte es sich mit vielen verscherzt, in ihrem ersten Jahr durch die Einladung der Band Young Fathers, die mit der israelkritischen Bewegung BDS sympathisiert, 2020 dann wegen des polarisierenden kamerunischen Historikers Achille Mbembe als geplantem Festredner. Auch war Carps Programm vielen zu performancelastig, kleinteilig und intellektuell.

So einen Ärger dürfte es mit der zurückhaltenden, zuverlässig umsichtigen Nachfolgerin nicht geben. Barbara Frey gilt zwar als willensstark, beharrlich und fokussiert, ist aber weder eine Systemsprengerin noch - als Regisseurin - eine Stückezertrümmerin. Auch in aktuelle Debatten mischt sie sich nicht ein. Das Wort "solide" beschreibt ihre Art, ein Theater zu leiten, wohl am besten. Sie mag die Klassiker, schöpft aus der Ruhe Kraft, liebt auch in ihren Inszenierungen die stillen Momente, die Konzentration.

Das ist insofern erstaunlich, als sie eigentlich Schlagzeugerin ist. Frey begann als Drummerin in einer Rockband, schrieb Songtexte und kam über die Musik zum Theater. Seit ihrem Regiedebüt 1993 hat sie an allen großen Häusern im deutschsprachigen Raum gearbeitet, sei es an der Berliner Schaubühne, dem Münchner Residenztheater oder am Wiener Burgtheater. Mehrere ihrer musikalisch ausgefeilten Inszenierungen wurden zum Berliner Theatertreffen eingeladen, und immer, wenn es eine größere Intendanz zu besetzen gilt, ist Frey im Gespräch. Die Ruhrtriennale wird nur ein Zwischenstopp sein auf ihrem Karriereweg durch die Männerdomäne Theater.

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