Süddeutsche Zeitung

Innenarchitektur:Warum Lokale immer lauter werden

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Die Gastrowelt der Gegenwart hat ein Dezibel-Problem. Grund sind auch die Gäste, vor allem aber ästhetische und architektonische Trends.

Von Gerhard Matzig

Verena Kaup müsste es eigentlich wissen. Beziehungsweise hören. Denn in den letzten Monaten war die Innenarchitektin für ihr soeben erschienenes Buch "Die schönsten Restaurants & Bars" kulinarisch viel auf Reisen. Vom reetgedeckten, zweihundert Jahre alten Gasthof in List auf Sylt bis zum angesagten Fingerfood-Restaurant "Sticky Fingers" mitten in Regensburg versammelt das Buch 43 sehenswerte Innenraumkonzepte im Reich des Essens und Trinkens. Kaup sagt: "Vor allem in betont minimalistisch gestalteten Gasträumen nimmt die Lautstärke zu. Wenn man ganz ohne Stoffe auskommen will oder mit nur wenigen, oft hart im Bauhausstil entworfenen Gegenständen möbliert, dann ist die Frage der Akustik bisweilen dringlicher als die der Optik." Möglicherweise hat die Gastrowelt der Gegenwart also ein gewisses Dezibel-Problem.

Bestätigt wird das von einer Umfrage des zu Michelin gehörenden Reservierungsservices "Bookatable". Befragt wurden rund 2000 Restaurantbesucher in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Mehr als die Hälfte fühlt sich von der Geräuschkulisse im Restaurant gestört. Wobei klar ist, dass das erwartbar krachlederne Humptata in einem Wiesnzelt eher in Kauf genommen wird als Handygeklingel von nebenan bei einem Candlelight Dinner. "Lärm kann eine Stressquelle sein, und Gäste möchten im Restaurant einer angemessenen Lautstärke begegnen", so Philipp Hahn von Bookatable.

Auf der Hitliste der Krachmacher befinden sich auch Babygeschrei, Geräusche aus den immer öfter offenen Küchentrakten, dröhnend erhobene Stimmen, demonstratives Gute-Laune-Party-Gelächter und die laute Hintergrundberieselung. Manch Anschlag auf das Trommelfell ließe sich also schon durch eine Art Sound-Knigge und gute Kinderstuben entkräften. Oder durch die erhobene Augenbraue eines Oberkellners.

Mit dem Dekor werden auch schallschluckende Dinge reduziert

Aber, das belegt eine Recherche der US-Zeitschrift The Atlantic: Auch die Innenarchitektur seit der Bauhaus-Ära sei zur Stressquelle geworden. Denn das Verschwinden von Tapeten, Dekor, Draperien oder Blumenschmuck zugunsten einer "cleanen Ästhetik" (Kaup) in der Epoche der Moderne führt auch zu immer mehr schallverstärkenden Resonanzflächen, während schallschluckende Dinge dezimiert wurden. Multipliziert wurden dagegen leider, wie der Guardian schreibt, "Restaurants, die so laut sind wie Rasenmäher oder Motorräder".

Innenarchitektin Kaup rät: "Das Ambiente soll nicht nur gut aussehen, sondern sich auch gut anhören. Das lässt sich mit den richtigen Materialien und durch Raumorganisation steuern." Im fein gestimmten "Tantris", einem Münchner Sterne-Restaurant, weiß man das schon lange. Dort ließ Architekt Justus Dahinden Anfang der Siebzigerjahre Teppichboden auch an die Decke nageln. Dem Reporter sagte er einmal: "Das Essen soll für sich sprechen, was andere Gäste reden, will man eher nicht hören." Es gibt Restaurants in vollkommener Dunkelheit, damit man sich sinnlich ganz auf das Essen konzentriert. Wenn die Unsitte der Brüll-Restaurants anhält, könnte es bald auch mehr Lokale in vollkommener Lautlosigkeit geben.

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Quelle:
SZ vom 15.06.2019
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