Süddeutsche Zeitung

QAnon-Bewegung:Die Verschwörung hinter der Verschwörung

Lesezeit: 4 min

Von Jörg Häntzschel

Immer wenn man in diesen Zeiten denkt, die maximale Dehnbarkeit der Vorstellungskraft sei erreicht, stellt man fest, nein, es geht noch seltsamer. Eben erst hatte man mit Mühe als Tatsache akzeptiert, dass sich Zehntausende Trump-Anhänger mit der QAnon-Bewegung identifizieren. Die Wortkreation ist aus dem Phantomnamen Q und "anonymous" gebildet. Die Mitglieder der Bewegung glauben, Barack Obama betreibe mit Hillary Clinton und halb Hollywood einen Kinderhandel-Ring; Trump wurde ihrer Meinung nach vom Militär eingesetzt, um dieses geheime Netz zu zerschlagen; die Russland-Verwicklungen Trumps wurden nur erfunden, um vom eigentlichen Ziel von Sonderermittler Robert Mueller abzulenken: Hillary Clinton und George Soros, die einen Staatsstreich planen. Und nun liest man staunend, dass es ein linksradikales Autorenkollektiv aus Bologna sein soll, das QAnon gestartet haben soll - und zwar um die irrlichternden Trump-Fanatiker vorzuführen.

Die QAnon-Anhänger tauchen immer öfter bei Trump-Veranstaltungen auf. Sie tragen Q-T-Shirts oder halten riesige Papp-Buchstaben in die Höhe. Viele Beobachter der Kundgebungen fürchten, dass es dabei nicht bleiben wird. Eines Tages würden sie Gewalt anwenden. Es gibt etliche Spekulationen darüber, wer die Verschwörungstheorie der QAnon-Leute in die Welt setzte. Alle erscheinen gleichermaßen verrückt wie plausibel, inklusive der, Trump selbst ziehe die Fäden. Doch auf die nun auf Buzzfeed verbreitete These, es könnten italienische Autoren, Aktivisten und Medienguerilleros sein, wäre man kaum gekommen. Unter dem Pseudonym Luther Blissett, das sie sich bei einem aus Jamaika stammenden britischen Fußballer ausgeliehen haben, schrieben die Autoren 1999 den Roman "Q", der im Mitteleuropa der Reformationszeit spielt.

Er erzählt die Geschichte eines radikalen Theologiestudenten, der sich den Täufern zurechnet, dem linken Flügel des Protestantismus, der hier als eine Vorform des Marxismus firmiert. Zwischen Wittenberg, Münster und Venedig schlägt sich der Held durch die ideologischen Unwetter seiner Zeit. Die Autoren verstanden ihr Werk als historische Allegorie auf die westlichen Gesellschaften und Europas linke Bewegungen: "Wer bei den Partisanen war, hält ,Q' für eine Parabel auf die Partisanenkämpfe. Wer in den Achtzigern in militanten autonomen Gruppen organisiert war, denkt, es sei eine Parabel auf die Autonomen", sagte einer von ihnen in einem Interview.

Andere lasen das Buch als Inspiration für die Antiglobalisierungsproteste der Neunziger oder gar als Handbuch für den linken Kampf. Viele verschlangen den in zwei Dutzend Sprachen übersetzten Roman der Umberto-Eco-Schüler aber als historischen Thriller, linker Widerstand hin oder her. Das Gerücht, dass die Autoren von "Q" hinter QAnon stehen könnten, ist nicht nur den vielen motivischen Ähnlichkeiten zwischen Buch und QAnon-Mythen geschuldet, nicht nur der Figur Q, die im Roman Spion eines Kardinals ist, bei QAnon ein hochrangiger Regierungsbeamter. Sondern vor allem den Pranks, Hoaxes und Fakes, mit denen "Luther Blissett" seit den Neunzigern regelmäßig Furore macht: 1995 erfanden sie die in vielen Medien nachgebetete Geschichte von dem aus einem Pharmalabor geretteten malenden Schimpansen Loota, dessen Werke auf der Biennale von Venedig gezeigt würden.

1998 schleusten sie den ebenfalls fiktiven serbischen Performance-Künstler Darko Maver und seine aus Leichenteilen gemachten Skulpturen in einschlägige Galerien und Kunstmagazine ein, bis sie ihn in einer Zelle in Kosovo "sterben" ließen. 2007 schließlich gaben sie sich als katholische Hacker aus und leakten im Namen von Papst Benedikt kurz vor dem tatsächlichen Erscheinen die - wiederum erfundenen - letzten Seiten von "Harry Potter und die Heiligtümer des Todes", die sie angeblich vom Server des britischen Verlags Bloomsbury gestohlen hatten.

Luther Blissett beging im Jahr 2000 symbolisch Selbstmord. Doch viele Aktivisten und Autoren setzten die Arbeit unter dem Namen "Wu Ming Foundation" fort (nach dem chinesischen Wort für "kein Name"). Die Mitglieder dieses "Kollektivs der Kollektive" widmen sich allen möglichen Feldern. Eine Gruppe erforscht "Unidentified Narrative Objects". In einer anderen, "Alpinismo Molotov", haben sich "antifaschistische, antikapitalistische Bergsteiger, Kletterer und Mountainbiker" zusammengefunden. Sie schreiben Romane, Kinderbücher und geben die Werke von J. R. R. Tolkien heraus. Und sie beschäftigen sich unter dem Namen Nicoletta Bourbaki eben auch mit dem "fröhlichen Zerlegen von rechtem Revisionismus, historischen Fake News und neofaschistischen Ideologien".

Wäre QAnon tatsächlich ein grandioser Prank, wer könnte dann dahinterstehen, wenn nicht die an Dada, Situationismus und Anarchismus geschulten Meister der linken "psychologischen Kriegsführung"?

Im Interview mit Buzzfeed weisen die Leute von Wu Ming die These, QAnon sei ihr Werk, jedoch weit von sich: "Wir hätten so etwas nie angefangen. Viel zu gefährlich." Möglich sei es allerdings, dass andere linke Prankster bei Wu Ming trittbrettgefahren seien. Dann sei der Spaß allerdings längst außer Kontrolle geraten. Und ohnehin sei nicht klar, wie man die Verschwörungstheorie jemals als fiktiv hätte entlarven können. Werden Leute, die hanebüchenen Unsinn glauben, sich wirklich zur Vernunft bringen lassen, wenn man ihnen sagt, es sei erfundener hanebüchener Unsinn? Spielt diese Differenz noch eine Rolle, wenn die Kategorien von Realität und Fiktion ihre Relevanz verloren haben? Die fanatischen Trumpianer würden, so Wu Ming, auch die Entlarvung des Hoax einfach in ihr paranoides System einbauen.

Dass sich die Erfinder von QAnon aber von ihrem Roman "Q" inspirieren ließen, da sind sich die Wu-Ming-Aktivisten sicher. Das glaubt auch Florian Cramer, Bildkulturprofessor in Rotterdam und ein alter Bekannter der Leute von Wu Ming. Er vermutet, Leser aus der Alt-Right- und 4chan-Kultur hätten sich den Roman einfach für ihre Zwecke zugerichtet, "so wie es im 19. Jahrhundert der russische Geheimdienst beim Verfassen der ,Protokolle der Weisen von Zion' machte", dem berüchtigten antisemitischen Pamphlet, das aus fiktionalen Texten kompiliert wurde, um den Zar gegen Modernisierung und Liberalismus aufzubringen (dass der Geheimdienst dahinter steht, wurde allerdings zuletzt bezweifelt). Dass die Rechten sich heute als Avantgarde verstehen wie der Häretiker aus "Q" und wie die europäischen Linken der letzten Jahrzehnte, ist nicht neu. Die Geschichte der von Rechts gekaperten linken Topoi, Narrative und Strategien ist um ein bizarres Kapitel reicher.

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Quelle:
SZ vom 09.08.2018
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