Süddeutsche Zeitung

Popkolumne:Vorbildlich

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Xatar sollte man für sein neues Album sofort neun von zehn Integrationsbambis verleihen und die neue Platte von Héloïse Letissier hat einen eignen Hollywoodfilm verdient.

Von Juliane Liebert

Xatar, seines Zeichens Rapper, ist hauptsächlich dafür bekannt, mal einen Goldtransporter überfallen zu haben. Er ging dafür ins Gefängnis, das Gold blieb verschollen. Wenn er etwas zu promoten hat, wie jetzt sein neues Album, verlost er gern mal augenzwinkernd kleinere Goldmengen. Besagtes neues Album erscheint diesen Freitag und heißt "ALLES ODER NIX II". Ja, in Großbuchstaben, DENN DAS MOTTO IST EBEN ALLES ODER NICHTS, KEINE HALBEN SACHEN HIER UND VOR ALLEM KEINE KLEINEN BUCHSTABEN. Es ist der Soundtrack zu den Schießereien und Razzien in Neukölln. Wenn die mafiatechnisch genauso sauber-deutsch sind wie Xatars Produktion, muss sich Andreas Geisel als Senator für Inneres und Sport in Berlin warm anziehen. Denn Xatar redet auf dem Album wie der Dax-Manager unter den Drogendealern. Fehlt eigentlich nur, dass er die Digitalisierung anmahnt und ein bedingungsloses Grundeinkommen für Straßenkriminelle fordert, damit sie der Strukturwandel nicht zu hart trifft.

Autotune ist sein Freund. Außerdem fallen ständig Schüsse, aber die Beats sind ohrenschmeichelnd komprimiert und seine Texte so distinkt artikuliert, dass man ihn jederzeit als Quereinsteiger für die nach Lehrern lechzenden Berliner Schulen empfehlen würde. Ansonsten gibt es ein bisschen Klaviergeklimper. Sehr poetisch. Beinahe jazzige Loops, denen durchs deutsche Hochglanzstudio leider jede Oldschooligkeit ausgetrieben wurde. Jeeps und Villen gibt es auch, hallende Synthstreicher. Ein paar Arabismen, damit man nicht etwa denkt, er sei Biodeutscher, wo doch sonst alles so wertgearbeitet ist. Stellenweise hat er geradezu hölderlinsche Genitivmetaphern drauf, im ersten Track des Albums dagegen ist er so mit seinem harten Schicksal beschäftigt, dass er beim Rappen ab und zu den Rhythmus und das Reimen vergisst. Insgesamt Top Album, unbedingt zu empfehlen als Soundtrack für eine Zeichentrickadaption von "Four Blocks" für den Kinderkanal. Kann man auch sofort 9 von 10 Integrationsbambis auf der Deutschrapskala verleihen.

Beak> (das ">" gehört dahin, weil man es sonst nicht googeln kann) haben es sich mit dem Albumnamen noch einfacher gemacht. Ihr drittes Werk heißt einfach ">>>". Das Projekt besteht aus Billy Fuller, Will Young und Portishead-Mastermind Geoff Barrow. Ihr erstes Album erschien 2009, es zog sich selbst aus dem Sumpf seiner repetitiven, verschleierten Rhythmen. Ihre Songs sind melodisch, dabei bemüht, sich von der Bluestonleiter fernzuhalten. Das gibt dem Klang des Trios etwas fremdartig Ernsthaftes. Nach eigener Aussage orientieren sie sich eher an europäischer Klassik als traditionellem Rock. Das spürt man auch auf dem neuen Werk: Der Track "Brean Down" schmückt sich mit stoischem Schlagzeug, in hohen Lagen rumgeisterndem Bass, schiefem Gitarrenzirpen, Orgeltinnitus und leicht kiffigen Stimmen, die scheinbar aus dem Nebenraum herüber singen. Krautrocknostalgie, veredelt mit Sonic-Youth-Catchiness, ein paar Noisetupfern und Nöligkeit. Ein Fan hat noch vor Erscheinen des Albums ein Video zu "Birthday Suit" gemacht, das der Band so gut gefiel, dass sie es ihren Hörern weiterempfahl, anstatt den Fan zu verklagen. So kann man auch mit Copyright-Issues umgehen. Die Band spielt im Dezember in Köln, Hamburg und Berlin.

Außerdem gibt es ein neues Album von Héloïse Letissier aka Christine and the Queens. Es heißt "Chris", (hier jetzt keine Sonderzeichen, dafür aber mit Kleinbuchstaben!) und ist astreiner 80s-Shit. Sie hat ihre Songs gleich zweimal aufgenommen - einmal englisch und einmal französisch. Die Märkte wollen eben bedient werden. Deswegen ist "Chris" ein Doppelalbum mit mehr als zwanzig Songs. Letissier produziert rhythmisch akzentuierte Keyboardpatterns, die klingen, als wären alle Imitationen klassischer Tasteninstrumente durch 80s-Synths übereinander gelegt worden. So nach sechs, sieben Songs nervt ihre 80s-Seligkeit dann allerdings doch irgendwann. Zum Teil klingt sie von Stimme und Gesangstechnik her wie Michael Jackson, nur der französische Akzent erzeugt einen Verfremdungseffekt. Prince-Funkiness scheint sowieso das Ding zu sein im Moment - Grüße aus der Zeit, als man den TR 808 noch nicht für verzerrten Techno einsetzte, sondern für die ganz großen Emotionen vor dem Ende des kalten Krieges. Für "Chris" müsste man eigentlich einen großen Hollywoodfilm drehen. Als wäre das Kino noch immer ein riesiges Geschäft und als würden Musiker noch immer Millionen Platten verkaufen. Eine Kreuzung aus "Blade Runner" und "Purple Rain" müsste das sein, in 3D für immer in der Zeit gefangen.

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Quelle:
SZ vom 19.09.2018
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