Süddeutsche Zeitung

Popkolumne:Sacht eskalieren

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Neues von Buzzy Lee, "Porridge Radio", "AnnenMayKantereit" und "Cabaret Voltaire" - sowie die Antwort auf die Frage, welche Songs Barack Obama während seiner Präsidentschaft am liebsten gehört hat.

Von Juliane Liebert

Barack Obama hat mal wieder eine Playlist gemacht. Das tut er schon länger zum Jahresende, diesmal sind es aber Songs, die er während seiner Präsidentschaft gehört hat und mit ihr verbindet. Darunter sind, nicht allzu überraschend, "Halo" von Beyoncé, zudem "Cherish The Day" von Sade, Eminems "Lose Yourself"? "There's vomit on his sweater already, mom's spaghetti"? Na gut. Er bewirbt mit der Aktion sein neues Buch "A Promised Land". Die Beatles sind auch auf Obamas Liste - mit "Michelle".

Die Tochter von Steven Spielberg, Sasha Spielberg, veröffentlicht an diesem Freitag unter dem Pseudonym Buzzy Lee ihr erstes Album "Spoiled Love". Es beginnt mit ihr im Zwiegesang mit sich selbst. Sie singt "Uhuu-uhuhuhuhuuu". Dann folgt Klavier, dazu beklagt sie mehrstimmig ihr Schicksal. Man wünschte nur, sie würde dabei nicht so hoch singen. Das Album ist sehr balladenlastig. Menschen, die Lana del Reys "Hope is a dangerous thing for a woman like me to have - but I have it" von "Norman Fucking Rockwell!" mochten, aber es noch eine Spur sentimentaler und weniger sexuell schätzen, sind hier goldrichtig. Und Leute, die es mögen, wenn man ihnen ins Ohr singt! Buzzy Lees Stimme ist nämlich durchgehend sehr nah aufgenommen. Sie singt einem ihre Befindlichkeiten vor. Sie hat Kopfschmerzen: "And my head hurts / but it always does." Man weiß nicht genau, warum, aber so wie sie es intoniert, ist stark davon auszugehen, dass man persönlich schuld daran ist.

King Gizzard & the Lizard Wizard haben keine reichen Eltern und müssen deswegen alles selbst machen. Die Band ist Fans von Psychedelic Rock schon lange ein Begriff, denn es gibt sie schon seit zehn Jahren. "K.G." ist ihr sechzehntes Album und wird auf dem Label Flightless Records ihres ehemaligen Schlagzeugers Eric Moore veröffentlicht. Die Band hat nicht nur die Musik und das Artwork der Platte, sondern auch die Videos zu den Songs selbst gemacht. "K.G." beginnt mit einem Instrumental, das irgendwo zwischen Current 93 und Mittelaltermarkt liegt. Nun gut. Bei "Automation" setzt dann das Acid ein, bei "Minimum Brain Size" wird das Hirn geschrumpft, und beim Rest muss man die ganze Zeit daran denken, wie viel Spaß diese Band live machen muss. Live! In einem kleinen Club! In dem man tanzen kann! Mit fremden Menschen! Dicht an dicht! Ob wir wohl je wieder ... "K.G." ist in jedem Fall ein sehr flüssiges Album, es hört sich beinahe an wie ein sehr gut produzierter Livemitschnitt.

Ein tatsächlicher Livemitschnitt kommt von der freundlichen Indie-Pop-Band Porridge Radio. Sie haben am Samstag ein wunderbares Cover von "Who By Fire" von Leonard Cohen in die triste Welt geschubst. Schon im Original ist das ja ein irrsinnig schöner Song, aber Porridge Radio haben sich die Freiheit genommen, den Song nicht wie Cohen ausschleichen zu lassen. Stattdessen lassen sie ihn sacht eskalieren. Und das - wie im Video zu sehen ist - in einer Kirche!

AnnenMayKantereit haben ein Überraschungsalbum namens "12" herausgebracht. Es ist leicht, über AnnenMayKantereit zu lästern, aber eigentlich ist "12" ganz cool. Das mag daran liegen, dass das Album nahezu chronologisch den ersten Lockdown Anfang des Jahres abhandelt. "Die Kneipen schließen / die Kinos auch" - das kennt man doch! "Tage werden länger / mit jedem Tag, der vergeht / mein Zimmer wird enger / und ich weiß nicht, wie's weitergeht" - das auch! So war das! Vielleicht ist es mit AnnenMayKantereit wie mit Partyfotos - sie sind deutlich interessanter, wenn man selbst dabei war.

Enden wir doch mal pessimistisch. "Shadow Of Fear" ist das erste neue Album von Cabaret Voltaire seit 20 Jahren. Von den ursprünglichen Bandmitgliedern ist nur Richard H. Kirk übrig. Vielleicht klingt der Eröffnungssong "Free" deshalb auch so, als ob er sich selbst Mut zu machen versucht. Wir befinden uns in einer zerfallenden Stadt, und irgendwo steht Richard H. Kirk und schnauzt uns an, wir sollten gefälligst frei sein. Vom zweiten Song an wird's besser, und bald klingt das Ganze doch noch wie ein richtiges Cabaret-Voltaire-Album. Düstere Klänge. Musik, die anläuft und stockt. Verzerrte Stimmen. Ein gegenlaufender Rhythmus, ein Hauch Psychic TV. Mit anderen Worten: Das Ende kann kommen. Wir haben keine Angst mehr.

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