Süddeutsche Zeitung

Popkolumne:Kritik und Optimismus

Lesezeit: 3 min

Diesmal mit den "Smashing Pumpkins" und Damon Albarn - und der Antwort auf die Frage, wie man dem Rap eine Floskel im Mund herumdreht.

Von Annett Scheffel

Es ist bekanntlich nicht so einfach mit dem Älterwerden als Rockband. Sogar wenn man für die letzte große Blüte der Rockmusik in den Neunzigern so wichtig war die Smashing Pumpkins. Damals bespielte das Quartett um den exzentrischen Sänger und Songwriter Billy Corgan einen breitwandigen Alternativraum zwischen Grunge-Szene in Seattle und den Hardcore-Bands. Und 2018? Was gibt es im Jahr des 30-jährigen Bandjubiläums noch zu tun? Wieder touren. Und ein neues Album aufnehmen. Zum ersten Mal seit 18 Jahren in der fragilen Konstellation von drei Gründungsmitgliedern (Corgan, Drummer Jimmy Chamberlin und Gitarrist James Iha; es fehlt nur Bassistin D'arcy Wretzky). Gemessen an all den anderen - meist mehr schlecht als recht - alternden Rockbands der vergangenen drei Dekaden ist die Platte mit dem viel zu langen Titel "Shiny and Oh So Bright Vol 1/LP No Past, No Future, No Sun" (Napalm Records) aber ganz gut. Oder besser: nicht schlecht. Besonders in den Momenten, in denen sie nicht so tun, als ob noch ein zweites "1979" oder "Zero" in ihnen steckt, sondern stattdessen dieser besonderen Pumpkins-Stimmung zwischen Melancholie und Theatralik aus 20 Jahren Abstand nachspüren. Etwa in "Silvery Sometimes (Ghosts)", einer zart-schaurigen und nur ein bisschen kitschigen Geisterbeschwörung. Oder "Knights Of Malta" mit seiner Classic-Rock-Opulenz aus Gitarrenriffs, Streichern und einem sich erhebenden Gospelchor. "We're gonna ride the rainbow", singt Corgan dazu. So eine sentimentale Hymne hat man ihm gar nicht mehr zugetraut.

Auch schon wieder vor 25 Jahren wurde "Parklife" veröffentlicht - jenes Album, auf dem sich Damon Albarn damals mit Blur der Britishness widmete. Damals war das vor allem das erwachende Cool-Britannia-Gefühl, das sich mit jugendlicher (Tanz-)Wut und Ironie mischte und den Britpop in den Mainstream spülte. In abgewandelter Form beschäftigte sich Albarn mit seinem Heimatbegriff auch auf dem ersten Album von The Good, The Bad & The Queen, jener Supergroup, die er zusammen mit dem früheren Clash-Bassisten Paul Simonon, der nigerianischen Afrobeat-Legende Tony Allen und Simon Tong von The Verve gegründet hat. Weil sich im Brexit-Großbritannien die Ebenen aber so verschoben haben, haben die vier nun nach zwölf Jahren eine zweite Platte aufgenommen: "Merrie Land" (Warner) klingt wie eine Abschiedsplatte, voller schöner trübsinniger Folk-Songs mit müde an- und abschwellenden Bläser- und Streicherarrangements und Dub- und Reggae-Anleihen. Wie traurige Nummern einer Jahrmarktrevue. Es ist der Soundtrack für ein orientierungsloses England, dem Damon Albarn sehr konkrete politische Texte gegen Nationalismus und Separatismus entgegensetzt und in dessen tröstend trägen Melodien dann doch eine Menge Optimismus steckt.

Seinen zehnten Jahrestag feiert dieser Tage Brainfeeder, das Label des kalifornischen Produzenten Flying Lotus. Zu diesem Anlass versammelt der Labelchef einen Großteil seiner afrofuturistischen L. A.-Bass-Gesellschaft auf einer 36-Songs-Compilation. "Brainfeeder X" wirft in ihrem enormen Abwechslungsreichtum zwischen Hip-Hop, Jazz, Ambient, Techno, Funk und Psychedelia die Frage auf: Hätte es ohne diesen Einfluss der großen Experimente-Schule Brainfeeder Platten wie Kendrick Lamars "To Pimp A Butterfly" oder Kamasi Washingtons "The Epic" eigentlich je gegeben?

Eine andere Sache, die den Pop noch eine Weile beschäftigen wird, sind die Themen, die infolge der "Me Too"-Debatte an die Strände der Musik gespült werden. Diese Woche gibt es gleich drei sehr gute Songs. Allen voran die neue Single der Band Cherry Glazerr aus Kalifornien. "Daddi" (Secretly Canadian) ist eine wütende, scharfsinnige Konzeptnummer über das Erstickungsgefühl täglicher Bevormundung. Begleitet von einer nervösen Drum-Machine und gespenstisch hallenden Gitarren fragt Sängerin Clementine Creevy einen Typen erst ängstlich um Erlaubnis für alles und jeden ("What should I say / Who should I fuck, daddi?"), nur um ihm dann im Refrain entgegenzuknallen: "Don't hold my hand / Don't be my man!" Die australische Songwriterin Julia Jacklin findet in ihrer sonst so sanften Folkballade "Head Alone" (Transgressive) die deutlichen Worte: "Say it till he understands / You can love somebody without using your hands." Und die 19-jährige Queer-Pop-Newcomerin King Princess deutet das oft nur im Hip-Hop so explizit verwendete Wort "Pussy" für ein eingängiges, Sex-positives Liebeslied um: "Your pussy is God and I love it." So clever hat schon lange niemand mehr dem Rap eine Floskel im Mund herumgedreht.

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Quelle:
SZ vom 14.11.2018
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