Süddeutsche Zeitung

Popkolumne:Im Guten angeschmiert

Lesezeit: 3 min

Rapper geben sich gerne eins auf die Mütze, wie gut es sein kann, wenn sie das nicht tun zeigen Marteria & Casper. Außerdem ein Song über die Sinnlosigkeit, vor der Liebe davon zu laufen.

Von Jan Kedves

Man ist ja froh, wenn zwei Rapper sich auch mal verstehen. Battle-Rap ist eine Kunstform für sich und gehört zum Rap dazu. Erfrischend ist es aber doch, wenn ein Rapper-Paar sich auch mal verträgt. Hier sind es Marteria & Casper, die diese Woche ihr gemeinsames Album "1982" (Zwei Bernds tanken Super) veröffentlichen. "1982" heißt es, weil Benjamin Griffey (Casper) und Marten Laciny (Marteria) im selben Jahr geboren sind. Sie sind jetzt also in einem Alter, in dem nicht nur Rap-Stars, sondern allgemein Männer gern zurückzublicken und die Jugend ein wenig verklären. Wobei auf "1982" zunächst einmal auffällt, dass die Erinnerungen der beiden gar nicht so unterschiedlich ausfallen, auch wenn Marteria im Osten (Rostock) groß wurde und Casper im Westen (u.a. Bielefeld). Man trifft sich im Zweifel halt auf der WG-Party: "Es wird Zeit für einen Absturz / Leben ohne Sünde macht so kraftlos" rappen sie in "Absturz". Musikalisch wird dazu gern auf die Neunzigerjahre zurückgegriffen. Zum Beispiel brechen in den düsteren Südstaaten-Sound von "Adrenalin" immer wieder gesampelte Happy-Hardcore-Breakbeats rein, so wie 1992 bei The Prodigy ("Out of Space"). Erst denkt man, das passe nicht. So wie man auch denken könnte, dass Caspers Schmirgelpapier-Geshoute und Marterias monotones Gemurmel nicht harmonieren. Aber siehe da: Es geht doch alles gut zusammen.

Die britische Songwriterin und Sängerin Anna Calvi beherrscht den schroffen Gitarren-Sound genauso wie die melodiöse Lieblichkeit. Auf ihrem tollen dritten Album "Hunter" (Domino) treibt die 37-Jährige den Mix noch auf die Spitze, indem sie textlich Männlichkeit und Weiblichkeit verhandelt - und dass beides ja eben kein Widerspruch sein muss. "I'm an alpha / I divide and conquer", singt sie im Song "Alpha" zu beinahe an Phil Spector erinnernden Hall-Sound. Die Dynamik reicht dabei von "sanft ins Ohr gehaucht" bis schrill, verzerrt, kakofonisch. Da drängt sich das sonst viel zu abgedroschene Bild von der emotionalen Achterbahnfahrt auf. Es passt hier wirklich. Auch in "Don't Beat the Girl Out of My Boy": Wie dieser Song nach seinem "Tüdeldü"-Intro rasch eine Härte bekommt und zwischendurch dann immer wieder hoch oben in der Luft hängen bleibt, um dann mit vollem Karacho wieder in den Keller zu rumsen - das ist einfach toll!

Auch lässt sich kaum oft genug betonen, was für ein eleganter, schöner und dezenter Pop-Hit "Dance To This" ist, das Duett, das Troye Sivan gerade mit Ariana Grande singt. Die steht in dieser Woche mit ihrem neuen Album "Sweetener" in den USA auf Platz eins der Charts. Und weil sie längst ist, was Sivan gerade wird, also ein Riesenstar, zählt das "Dance To This"-Video auch schon 53 Millionen Klicks auf Youtube. Der Song gehört zu "Bloom" (EMI), dem neuen Album des 23-jährigen Australiers, den man musikalisch bislang unterschätzt hat. Anfangs schien es ja, als wolle er einfach so etwas werden wie ein hübscherer, schwuler Justin Bieber. Inzwischen ist er zu einer richtigen Pop-Künstler-Persönlichkeit gereift. Sivan singt Songs über schwule sexuelle Erweckung und Defloration mit einem Charme und Stolz, dass man nie auf die Idee käme, daran irgendetwas nicht selbstverständlich zu finden. Neben "Dance To This" ist "My My My!" vielleicht der schönste Song auf diesem Album: hymnischster Blauer-Himmel-Pop über die Sinnlosigkeit, vor der Liebe davonlaufen zu wollen.

Zum Schluss noch der Hinweis darauf, dass Sophie Hunger gerade viele Haken schlägt. Fans werden die Schweizer Songwriterin und Sängerin wohl kaum wiedererkennen, die Musik auf ihrem neuen Album "Molecules" (Caroline International) klingt nämlich synthetisch, elektronisch, clubmäßig, was aber überzeugt. Dazu sagt Hunger, ihr sechstes Studioalbum sei ihr erstes rein englischsprachiges - nachdem sie auf den Vorgängern ja immer gern Englisch, Französisch, Deutsch und Schwiizerdütsch auf sehr idiosynkratische Weise gemixt hatte. In "Cou Cou" singt sie dann aber doch wieder Französisch, "je me souviens de tout", ich erinnere mich an alles. Angeschmiert?! Auf Tour geht es mit dem Hakenschlagen gleich weiter: Im September wird Hunger in vier deutschen Städten spielen, wobei sie auch durch diese vier Städte touren wird. Wie? Sie gastiert einige Abende hintereinander in derselben Stadt, spielt aber jedes Konzert in einem anderen Club. Hat das schon einmal jemand so gemacht? Irgendwie geht es im Pop ja doch immer noch mal auf neue Weise rund.

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Quelle:
SZ vom 29.08.2018
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