Süddeutsche Zeitung

Pop und Politik:"Alles soll brennen!"

Lesezeit: 4 min

Russlands Rapper galten als zahm und kremltreu. Bis sie außer Kontrolle gerieten. Nun spielen sie manchmal auf Autodächern - oder im Schnee.

Von Silke Bigalke

In Kasan begannen die Schwierigkeiten mit einem Anruf der Feuerwehr beim Veranstalter. Danach passierte dasselbe in fast jeder Stadt der Tour: Die lokalen Behörden, Polizei, Geheimdienst oder Staatsanwaltschaft warnten die Klubbesitzer, die Finger von IC3PEAK zu lassen. IC3PEAK nennen sich Nikolai Kostylew und Nastja Kreslina, ihre Musik ist experimentell und elektronisch, und offenbar besorgniserregend für Russlands Machthaber.

Manche Klubs ließen sich einschüchtern, dann suchte das Duo Ersatzbühnen. Ab und zu rückten Sicherheitskräfte mit Bombenspürhunden an und räumten das Lokal. Manchmal hielten die Musiker den Auftrittsort geheim, spielten 20 Minuten, bis jemand den Strom abdrehte. "Ihr Ziel war, unsere Shows zu verhindern", sagt Kreslina. Da waren 20 Minuten wie ein Sieg. Ein Treffen in Moskau haben die beiden kurzfristig abgesagt, aber sie lassen sich online interviewen.

Vor der Tour hatten sie ein Video zu ihrem Song "Es gibt keinen Tod mehr" veröffentlicht. Darin übergießt sich die Sängerin, bleich wie ein Vampir, vor dem Regierungsgebäude in Moskau mit Kerosin: "Ganz Russland schaut auf mich. Alles soll brennen!" Man kann das als Aufruf zum Selbstmord und jugendgefährdend brandmarken. Vor allem kritisiert das Video eine Politik, die junge Menschen frustriert.

IC3PEAK sind nicht die einzigen, deren Konzerte in den vergangenen Wochen verhindert wurden. "Vielleicht passiert gerade etwas Größeres", sagt Kreslina, "jemand versucht, die Jugendkultur zu reparieren, aber mit altmodischen Sowjet-Methoden."

Alle betroffenen Musiker haben ein junges Publikum. Ihnen wird vorgeworfen, sie würden Drogen, Suizid, Gewalt oder unmoralisches Verhalten verharmlosen. Bei der Teenager-Pop-Band "Friendzona" nahm man daran Anstoß, dass sich in einem ihrer Videos zwei Mädchen küssen. Der 24-jährige Hip-Hopper Allj dichtete die Zeile "Ecstasy, bring mich weg" und musste mehrere Konzerte absagen. Der Rapper Husky zeichnet oft ein eher düsteres Bild von Russland. In "Judas" singt er von "Terroristen in der Leitung", der Clip wurde in Russland blockiert.

Vieles kommt zusammen: Eltern und Tugendwächter machen gegen die Künstler mobil, bestärkt durch eine Politik, die orthodoxe Werte durchsetzen will. Vielleicht reagiert der Staat auch auf zwei tragische Vorfälle im Oktober: Ein Jugendlicher sprengte sich in einem Gebäude des Geheimdienstes FSB in Archangelsk in die Luft, ein anderer tötete bei einem Amoklauf auf der besetzten Krim 20 Menschen.

Die Künstler sagen, dass sie mit ihrer Musik die Wirklichkeit in Russland beschrei-ben, eine deprimierende Jugend, Drogenprobleme, Armut, auch Kriminalität. Das allein ist Kritik an der Regierung. Verbote und Verfolgung machen diese nur umso hörbarer. Als im November bei einem Husky-Konzert in Krasnodar der Strom abgeschaltet wurde, stieg der Musiker auf ein Autodach und rappte dort weiter. Polizisten zerrten ihn dann vor laufenden Handykameras vom Auto und führten ihn ab. "Künstler werden für die Probleme der Gesellschaft verantwortlich gemacht, denn das ist leichter, als diese anzugehen", kommentierte Oxxxymiron, einer der bekanntesten Freestyle-Rapper des Landes, auf Instagram. Mit anderen Musikern veranstaltete er ein Solidaritätskonzert für Husky. Mit dabei auch der russische Rapper Noize MC, der 2014 in der Ukraine spielte, um ein Zeichen gegen den Krieg zu setzen. Aus zwölf Tagen Haft für Husky wurden vier, Stunden vor einem Konzert in Moskau kam er frei.

Im Inneren sind die Jugendlichen offen für alles. Aber das Land wird veraltet regiert.

Kreslina hält das Vorgehen der Behörden für einen Ausdruck der Hilflosigkeit: "Sie wissen nicht, wie sie mit junger Kultur umgehen sollen. Sie haben wohl Angst, dass sie die Kontrolle verlieren", vermutet sie. Nun versuchten sie, Musik abzusagen. "Aber es unmöglich, Musik abzusagen, es ist einfach verrückt, das zu glauben." Ihr Video zu "Es gibt keinen Tod mehr" soll die Gefühle junger Menschen widerspiegeln: Die Diskrepanz zwischen der Offenheit derer, die "im Internet" aufgewachsen seien, die ihre Ideen, Filme, Bücher aus dem weltweiten Netz bekommen, und dem Land, in dem sie leben. "Im Inneren sind sie bereit, sie sind offen so vielen Dingen gegenüber. Aber draußen, in unserer Gesellschaft, kann man sich nicht offen ausdrücken." Ihr Video zeigt den Kreml, die Lubjanka, Sitz des Geheimdienstes. Kreslina und Kostylew essen blutiges Fleisch vor Lenins Mausoleum. "Ich gehe auf die Straße, einen Kater zu streicheln", singt Kreslina, "er wird von einem Polizeiwagen überroll." Der Widerspruch zwischen den eigenen Vorstellungen und der "brutal veralteten" Weise, wie das Land regiert werde, mache die Jugend wütend und verwirrt, sagt Nikolai Kostylew.

Im März 2017 zogen Tausende Jugendliche mit dem Oppositionspolitiker Alexei Nawalny auf die Straßen. Die Musik-Szene dagegen schien lange Zeit unter Kontrolle zu sein, einige der bekanntesten Hip-Hopper sind dem Kreml treu. "Mein bester Freund ist Präsident Putin", dichtete Timati, der wohl reichste Rapper Russland. Einige haben umgedacht. Der 21-jährige Hip-Hop-Künstler Face (Iwan Drjomin) wuchs mit Armut, Alkohol und Drogendeals auf und fiel als Musiker durch sexistische Texte auf. Nun hat er ein Album veröffentlicht, dass Kritik am Staat übt. Im Video macht er sich über überzogenen Patriotismus lustig, wütet zum Text von "Ich lasse den Westen fallen" als Superheld durch ein brennendes New York. Ob die Politik die Kunst kontrollieren könne? "Wenn es eine Art kultureller Krieg war, haben ihn die Musiker längst gewonnen", sagt er.

Die Regierung versucht nun Schadensbegrenzung. "Wenn man etwas nicht stoppen kann", sagte Präsident Wladimir Putin jüngst, müsse man die Führung übernehmen und es "in die richtige Richtung lenken". Von den drei Dingen, auf denen Popkultur beruhe, Sex, Drogen und Protest, beunruhigten ihn die Drogen am meisten, denn sie führten zum "Verfall der Nation".

In Woronesch unterbrachen IC3PEAK ihren Auftritt, weil viele Fans gar nicht erst ins Gebäude gelassen worden waren. Das Duo ging nach draußen und sang im Schnee weiter. Die Fans sangen "Alles soll brennen" und danach die Nationalhymne. "Je mehr sie uns verbieten, desto mehr reden die Leute über uns, desto wütender werden sie, desto mehr hören unsere Musik als Protest", sagt Kostylew. Ihr letztes Konzert in Rjasan am Wochenende konnten sie unbehelligt spielen. Er rechne zwar weiterhin mit Schikanen, sei aber nach der Tour optimistischer. "Weil wir so viele junge, kluge, verrückte, interessante Menschen getroffen haben. Es war großartig die Kraft dieser neuen Generation zu spüren.

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Quelle:
SZ vom 28.12.2018
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