Süddeutsche Zeitung

Pop: Anwalt der  Frauen

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Ein Treffen mit dem Afropop-Superstar A'salfo und die Frage, wie man mit einem Popfestival wirklich etwas bewirken kann.

Von Jonathan Fischer

Abidjan ist ein Moloch. Die Überforderung ist hier der Normalzustand, man spürt sie schon auf der Fahrt vom Flughafen zum Festivalgelände im Stadtteil Marcory. Wie jeden Tag zu fast jeder Tageszeit stauen sich Karawanen überladener LKWs und Kleinbusse, hupender und sich an jeder Kreuzung ineinander verkeilender Taxis. Dazwischen wuseln ambulante Verkäufer: mit Fußball-Trikots, Parfums oder Plastikspielzeug. Wie schafft man es nur, in dieser atemraubenden Backofenhitze, im Lärm der Musik aus den Maquis genannten Kleinrestaurants seinen Geschäften nachzugehen? Oder gar ein Musik-Festival nach europäischen Sicherheits- und Pünktlichkeits-Standards zu organisieren? Zumal eines, das Hunderttausende nicht nur unterhalten, sondern sie auch noch für die drängendsten Zukunftsfragen Westafrikas sensibilisieren will?

Das sind so die Fragen, die einem durch den Kopf gehen, als endlich Salif Traoré, kurz A'salfo, am vereinbarten Interviewort, dem Restaurant des Festivalgeländes auftaucht. "Die großen Musiker-Namen, die dort auftreten", sagt der Initiator des jährlichen FEMUA-Festivals (Festival des Musiques Urbaines de Anoumabo) und nickt in Richtung der großen Bühnen auf dem Fußballplatz, "das sind die Zugpferde. Denn hier geht es um Sozialprojekte, um gesellschaftliches Engagement. Um die Arbeit unserer Stiftung Magic System."

Magic System ist auch der Name von Traores Band, die seit zwei Jahrzehnten die Stadien zwischen Abidjan, Casablanca und Paris füllt. Im Jahre 2000 landeten sie ihren ersten großen Hit "Premier Gaou", ihr letzter Erfolg war "Magic In The Air", die Hymne der französischen Fußballnationalmannschaft zur WM in Russland. Nicht umsonst ließ der französische Präsident Macron Magic System 2017 zu seiner Amtseinführung auftreten. Die Band steht für das moderne, weltgewandte Afrika. Wäre A'salfo nicht A'salfo, dann könnte er sich damit zufrieden geben: Knapp zwei Dutzend Platin- und Gold-Alben, ein Jet-Set-Leben. Er lebt den Traum aller jungen Ivorianer, es vom Ghetto-Jungen zum Superstar geschafft zu haben. Warum also dieses Festival, das Jugendliche zu Workshops über Themen wie Migration und Frauenrechte einlädt, und dessen Profit in den Bau von Schulen und Krankenhäusern fließt?

"Es wäre töricht, die Musik nicht für den Aufbau der Gesellschaft zu nutzen."

"Wir Musiker haben eine Macht, die die Politiker nicht besitzen". A'salfos nimmt die goldgerahmte Sonnenbrille ab, schaut seinem Gesprächspartner in die Augen: "Kraft unserer Musik schaffen wir es Muslime, Christen, Geschäftsleute und Menschenrechtsaktivisten, ja selbst die Anhänger verfeindeter Parteien zusammenzubringen." Der Magic System Frontmann spricht leise, sucht nach den richtigen Worten. Sein rundes, freundliches Gesicht strahlt Ruhe aus. Und Entschlossenheit. Nachdem der bis 2012 währende Bürgerkrieg das Land an den Rand des Abgrunds gebracht hat, gehe es wieder bergauf, die Wirtschaft wachse um jährlich acht Prozent, überall entstünden neue Märkte, Clubs und Studios. "Abidjan lebt von der Musik. Es wäre töricht, sie nicht für den Aufbau der Gesellschaft zu nutzen."

Vom Plastiktisch im Restaurant-Garten, an dem A'salfo seine Interviews gibt, hat man einen guten Blick über die innerstädtische Lagune, hinüber zu den Hochhäusern des Banken- und Geschäftsviertels Plateau. Dort hat der Magic-System-kopf eine Villa. Eine weitere steht in Frankreich, wo er die Hälfte des Jahres verbringt. Es ist kein Geheimnis, dass A'salfo seine Tantiemen in Immobilien investiert, er bei aller Jovialität durchaus auch als knallharter Geschäftsmann auftreten kann.

Sein Heimatviertel Marcory aber ist bis heute arm geblieben. Dessen ärmster Bezirk heißt Anoumabo, ein Bidonville, in dem A'salfo als sechstes von neun Kindern eines aus Burkina Faso immigrierten Vaters aufwuchs und er die anderen Bandmitglieder von Magic System fand. "Wir kennen die Armut. In meiner Grundschul-Klasse saßen über hundert Schüler. Die höhere Schule musste ich kurz vor dem Abschluss aus Geldmangel abbrechen. Stattdessen streunten Manadja, Goudé, Tino und ich mit leeren Taschen von Maquis zu Maquis und sangen von den Freuden und Gefahren der Straße." Was A'salfo allerdings schon immer auszeichnete: Seine Offenheit, die Wissbegierigkeit des Autodidakten, herauszufinden wie die Dinge funktionieren. Denn ohne Ehrgeiz und strikte Arbeitsethik wären Magic System wohl eine der vielen lokalen Bands geblieben, die bis heute von improvisierten Bühnen auf sandigen Straßen und müllübersäten Brachen Wochenend-Partys für die Slum-Bewohner beschallen. Das erste FEMUA im Jahre 2008 war dann auch der Versuch "etwas an unser Viertel zurückzugeben". Wären Popstars und Tausende von Fans sonst jemals auf die Idee gekommen, die Blechbuden und Bars dieses Armen-Viertels aufzusuchen? "Zunächst", sagt A'salfo, "waren wir damit zufrieden, ein paar Arbeitsplätze zu schaffen und kostenlose T-Shirts zu verteilen. Aber dann fragten wir uns: Können wir mit dem Festival nicht noch mehr ausrichten?"

Vor zwei Jahren zog FEMUA auf das Sportgelände von Marcory um. Aus Sicherheits- und Organisationsgründen: Über 100 000 Zuschauer kommen inzwischen zu den Konzerten, über 40 Fernsehsender aus ganz Afrika und Frankreich übertragen live. Der Eintritt ist umsonst. Magic System finanzierten die erste Ausgabe noch komplett selbst, inzwischen ist eine große Mobilfunkfirma als Hauptsponsor eingesprungen. Für A'salfo noch wichtiger: "Jede FEMUA-Ausgabe dreht sich um ein gesellschaftlich relevantes Thema." Dieses Jahr ist es die Gleichberechtigung der Frau. Praktisch bedeutet das, dass - gerade weil Frauen noch immer eine Minderheit im Musikgeschäft sind - zur Hälfte weibliche Künstler auf der Bühne stehen. Darüber hinaus diskutieren Vertreter von Staat, UNO, EU, lokalen Menschenrechts- und Frauenrechtsorganisationen an den beiden Eröffnungstagen im Carrefour de Jeunesse mit den Besuchern.

Hunderte von Jugendliche belagern den Versammlungssaal des Sportgeländes, schreiben mit, stellen Fragen: "Steht irgendwo im Koran geschrieben, dass Frauen beschnitten werden sollen?" - "Warum hilft der Staat nicht den Unternehmerinnen, die doch den Wirtschaftsaufschwung im Land befeuern?" Oder: "Müssen gut ausgebildete Frauen ins Ausland gehen, weil sie vor Ort keine adäquaten Jobs finden?"

A'salfo setzt darauf, dass die Kontroversen durch Multiplikatoren und die sozialen Medien weitergetragen werden: "Das Festival endet nicht mit dem letzten Auftritt am Sonntag. Viel mehr will ich, dass jeder der Beteiligten hier als Anwalt für Frauenrechte nach Hause geht."

Das gelbe T-Shirt der sponsernden Mobilfunk-Firma klebt dem Magic System-Frontmann am Leib, alle paar Minuten wischt er sich den Schweiß aus dem Gesicht. A'salfos Arbeitspensum seit heute morgen: Ein Dutzend Interviews, eine Konferenz mit dem Organisationsteam, persönliche Begrüßung von Festival-Musikern wie Afrobeat-Legende Femi Kuti, und ein Besuch beim ivorischen Präsidenten, mit dem er über die Einweihung der nächsten Schule gesprochen hat.

"Ein FEMUA, eine Schule" laute das selbstgesetzte Ziel. Sechs Schulen habe man bereits gebaut und dem Staat übergeben, über 2500 Schüler und 50 neueingestellte Lehrer profitierten davon. 75 Prozent der ivorischen Bevölkerung ist jünger als 35 Jahre. Und nicht einmal ein Fünftel hat eine offizielle Arbeit.

Später wird A'salfo mit einem Bus voller Journalisten ein Mutter-Kind-Gesundheitszentrum in Anoumabo besuchen, ein Teil der Gewinne des Festivals fließen in dessen Renovierung. Damit das für die Medien und die Bevölkerung auch sichtbar wird, sind die Spenden im sandigen Innenhof der Einrichtung ausgestellt: Vier nagelneue Elektroherde, ein Dutzend Nähmaschinen, Lehrbücher, Bürotische und Stapel bunter Plastikstühle. "Wenn es irgendwo brennt", sagt A'salfo, "sind wir die Feuerwehrmänner." Kritik an der Regierung, die doch eigentlich für die Grundversorgung zuständig ist? Nein, wiegelt er ab, jeder Staat brauche die Unterstützung der Zivilgesellschaft. Die FEMUA-Festivals sind als Modell jedenfalls so einzigartig wie erfolgreich - und tatsächlich der Beweis, was eine starke Zivilgesellschaft selbst unter Bedingungen wie in der Elfenbeinküste ausrichten kann.

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Quelle:
SZ vom 24.06.2019
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