Süddeutsche Zeitung

Phrasen: Bürgernähe:Eine Frage der Töne

Brücken bauen, Kinder vorzeigen: Wenn Politiker versuchen auf mehr "Bürgernähe" zu setzen, endet das entweder mit Pastoralrhetorik oder gestischem Populismus.

Johan Schloemann

Die schlimmsten Phrasen, die abzumähen seien, vermutet man gerade jetzt in der Politik. Und man wird natürlich sofort fündig, etwa in der unerträglich ausgeweideten Fußballmetaphorik der Berufspolitiker. Doch die Gauckmania und das desolate Durcheinander in der Bundesregierung führen langsam auch dazu, dass man das ganze "Bürger"-Gerede einfach nicht mehr hören kann.

Wir sollen von der Parteipolitik magisch erlöst werden durch ein antipolitisches, antirepräsentatives Gemeinschaftsgefühl, das laut einer grassierenden Fiktion die ganze Gesellschaft erfasst haben soll. Oder doch nur einige "Bürger" im engeren Sinne?

Mehr "Bürgernähe" wird gefordert, aber wer immer versucht, diese rätselhafte Eigenschaft anzunehmen, der endet entweder bei Pastoralrhetorik (Brücken bauen) oder gestischem Populismus (Bier trinken, Kinder vorzeigen). Die treffliche Schriftstellerin Monika Maron sagt im Fernsehen zu Koalitionspolitikern, der Gauck'sche Bürger sei die Politiker leid, und was sie vor allem störe, das sei "der Ton".

Da stimmt ja jeder zu: Angela Merkel ist unfähig, Schwächen zuzugeben und dem Volk das Notwendige zu erklären. Als aber Monika Maron gefragt wird, was die Regierung denn besser machen solle, da verweist sie wieder auf den fehlenden bürgernahen "Ton". Mit den eigentlichen Inhalten des Regierungshandelns in der Schuldenkrise aber habe sie sich bisher "nicht beschäftigt".

Na großartig - nur der Ton muss stimmen! Vielleicht ist die Regierung in ihrem Durchwursteln und ihrer Phrasenhaftigkeit dem Bürger näher, als man denkt.

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Quelle:
SZ vom 03.07.2010
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