Süddeutsche Zeitung

Peter Zadek: Die Wanderjahre:Kränkelnd und gekränkt

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Es ist nicht leicht, ein Gott zu sein: Im dritten Teil seiner Biographie erzählt Peter Zadek von der die Liebe zu seinen Schauspielern.

Christine Dössel

Nehmen wir zum Beispiel diese eine Szene zwischen dem Regisseur Peter Zadek und dem Ost-Schauspieler Hermann Beyer bei den Proben zu Shakespeares Antonius und Cleopatra, einer Produktion des Berliner Ensembles im Jahr 1994. Beyer - selbst in der strengen Beurteilung Zadeks ein "wirklich sehr guter Schauspieler" - sagt in der letzten Woche vor der Premiere mit völlig verstörtem Gesicht: "Ich habe mein Konzept vergessen." Darauf Zadek: "Ja, was für ein Konzept?" - "Für die Rolle. Was mache ich denn jetzt?" - "Ja, probier doch mal zu machen, was dir einfällt." - "Ich kann doch nicht einfach machen, was mir einfällt, das ist doch Shakespeare."

Wer schreit, hat Unrecht

Der Vorfall, von Peter Zadek geschildert in seinem jetzt posthum erschienenen Memoirenband Die Wanderjahre, beschreibt sehr gut die absolute Offenheit und Freiheit, die der Spieler Zadek als Voraussetzung und Basis seiner Regiearbeit begriff - weshalb sie mit einer grundsätzlichen Ablehnung jenes Kopf- und Konzepttheaters einhergeht, wie man es im Osten pflegte. Die Szene zeigt daher auch, warum das schiefgehen musste mit Peter Zadek und dem BE.

Nach der Wende wurde der berühmt-berüchtigte Regisseur, der zuvor glücklos das Hamburger Schauspielhaus geleitet hatte, an der ehemaligen Brecht-Bühne am Schiffbauerdamm Intendant: als Mitglied in einem Fünfer-Direktorium, dem neben ihm die ostgeprägten Regisseure Matthias Langhoff, Fritz Marquardt, Peter Palitzsch und die Dichter-Ikone Heiner Müller angehörten. Die drei Jahre, die Zadek es dort ausgehalten hat, von 1992 bis 1995, nehmen in seinen nachgelassenen Memoiren ein zentrales und höchst aufschlussreiches Kapitel ein. Heiner Müller kommt darin viel besser weg als befürchtet (als "ein faszinierender Spieler, Witzbold und Denker"), obwohl er Zadeks Inszenierungen als "Publikums-Operetten" belächelte. Einar Schleef allerdings bleibt das Hass-Subjekt, dass er für Zadek schon damals war. "Unerträglich", ganz und gar "grauenhaft" fand Zadek das Theater und das Gebrüll dieses Regisseurs ("Wer schreit, hat unrecht"), und in dessen Erfolgsinszenierung Wessis in Weimar nach dem Stück von Rolf Hochhuth sah er eine "neue Form von Faschismus".

Gespickt mit Exkursen

Die Wanderjahre sind als Fortsetzung der beiden ersten Bücher My Way und Die heißen Jahre zu lesen und auch wieder auf Grundlage von Gesprächen mit dem Verleger Helge Malchow entstanden. Sie umfassen den Zeitraum von 1980 bis zu Zadeks Tod im Juli 2009 und sind das schriftliche Vermächtnis dieses großen Menschentheaterregisseurs: Anklage-, Streit- und Verteidigungsschrift in einem, Krankheits- und Werkstattbericht, Grundsatz- und Liebeserklärung, ein ebenso gescheites und grundlegendes wie stellenweise auch geschwätziges Theaterbuch, voller Klatsch, Beschimpfungen und Bekenntnisse - wie man das ja auch erwartet von einem Zampano wie Zadek, der sich mit vielen angelegt und nie ein Blatt vor den Mund genommen hat -; gespickt mit kleinen Exkursen über Musik, Stückfassungen, "Juden und Aristokraten", Geld oder überhaupt den Zustand der Welt; aber auch getragen von Gedanken über das Alter und den Tod, den Zadek für eine Absurdität hielt: "Wenn man endlich wirklich etwas vom Leben versteht, dann stirbt man. Es ist, als ob Gott zu feige wäre, zuzulassen, dass es Leute auf der Welt gibt, die ihn durchschauen."

Körperlicher Zusammenbruch

Selber gegenlesen konnte der zuletzt Schwerkranke das Buch nicht mehr. Herausgegeben, redigiert und mit einem persönlichen Vorwort sowie mit eigenen Gedichten und einem umfangreichen Materialienteil im Anhang versehen hat es Elisabeth Plessen, Zadeks große Liebe und Lebensgefährtin der letzten dreißig Jahre, deren (Shakespeare-)Übersetzungen aus dem Englischen er in den höchsten Tönen lobt - sie waren essentiell für ihn. Elisabeth Plessen war Zadeks Begleiterin in den beschriebenen Wanderjahren, die den so vielbeschäftigten wie permanent kranken, gekränkten oder kränkelnden Regisseur nach Berlin, Hamburg, Wien, München, Zürich, nach Marokko, Frankreich und Italien führten. In der Toskana, haben sie sich ein Haus zugelegt - dort nehmen sie Zuflucht, immer wieder. Und Zadek flieht oft - wie 1992 bei der Berliner Inszenierung Der blaue Engel mit Ute Lemper - außer Landes; er schmiss tatsächlich vor der Premiere hin und verschwand.

Zadek schimpft sehr viel in diesem Buch: über das "hochnäsige beschissene Benehmen der Hamburger" zum Beispiel und die arroganten Hamburger Politiker (namentlich: Dohnanyi), die ihm die Intendanz verdorben und in den körperlichen Zusammenbruch getrieben hätten; über Kritiker, die dumm und nichts als "Parasiten" seien; über Berlin, seine Geburtsstadt, in der man "nur Nervenzusammenbrüche haben kann". Und doch zog es ihn immer wieder hin. Als er nach der Wiedervereinigung gebeten wurde, in das BE-Direktorium zu gehen, reizte es ihn brennend, am Puls des politischen Geschehens zu sein, Ost- auf Westschauspieler treffen zu lassen. "Ich bin ewig neugierig", schreibt Zadek, und das sei auch sein Hauptimpuls im Theater.

Theater für die einfachen Leute

Während seiner Zeit am Berliner Ensemble inszeniert er Stücke, die Heiner Müller & Co als Märchen abtun: Das Wunder von Mailand zum Beispiel nach dem Film von De Sica. Und nebenher macht er, quasi "unter der Hand", Tourneen mit günstigen, nachinszenierten BE-Produktionen in der Brandenburger Provinz, zum Beispiel im Gasthof eines Dorfes namens Gröben, das er bei einem Wochenendausflug mit Elisabeth Plessen entdeckt.

Theater für die einfachen Leute vom Land. So oft er als Snob und Zicke erscheint, dieser Zadek, diese Seite hatte er eben auch - da kam wieder der englische Provinzregisseur in ihm durch, der Entertainer, Revue- und Unterhaltungsmeister: der Theater für alle machen und nur ja nicht langweilen will. Das "depressive Off-turning-Theater", das von Heiner Müller am BE betrieben wurde, ein Theater, in dem Analyse vor Phantasie geht, habe, so Zadek, inzwischen generell Einzug auf den Bühnen gehalten: "weil viele der Ossis in führenden Positionen im deutschen Theater gelandet sind, angefangen von Frank Castorf, und das Theater in eine große Konfusion gebracht haben." So ähnlich hört sich das auch an, wenn der FAZ-Kritiker Gerhard Stadelmaier über das "Regisseurstheater" herzieht.

Ein furchtbarer Schlag

So schimpft er also seitenlang dahin, der wilde, zürnende Zadek, am Ende sogar auf seine eigene Schauspielerfamilie: auf seine einstigen Lieblinge Angela Winkler, Susanne Lothar, Eva Mattes und Hans-Michael Rehberg ("das größte Arschloch"), die bei der geplanten Tournee-Produktion "Was ihr wollt" 2007 absprangen und nicht mit dem Ersatzregisseur Arie Zinger weitermachen wollten, nachdem Zadek krank geworden war. Für den Meister "ein furchtbarer Schlag". Genauso wie der Moment, als Gert Voss ihm bei den Proben einen Tisch entgegen schleuderte, aber gottlob nicht traf, "sonst wäre ich tot gewesen".

Aber er hat sie alle auch gewürdigt. Gerade Angela Winkler, mit der er so wunderbare Inszenierungen wie Der Kirschgarten und Hamlet geschaffen hat, für sie empfindet er eine Zärtlichkeit, die er zuvor vielleicht allenfalls Ulrich Wildgruber zukommen ließ ("Sie hat Uli ersetzt"). Aber, das ist beim Lesen kaum zu verkennen: Die Liebe von Peter Zadek zu seinen Schauspielern ist die Liebe eines Gottes zu seinen Kreaturen. Und dass es nicht leicht ist, ein Gott zu sein - auch das wird klar.

PETER ZADEK, ELISABETH PLESSEN: Die Wanderjahre 1980-2009. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2010. 528 Seiten, 24,95 Euro.

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Quelle:
SZ vom 22.05.2010
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