Süddeutsche Zeitung

Opernpremiere in Wien:Das Leben könnte so schön sein

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Regisseur Felix Breisach verlegt Mozarts "La Nozze di Figaro" am Theater an der Wien ins Irrenhaus.

Von Reinhard J. Brembeck

Anett Fritschs Rosina sieht blendend aus, sie ist ganz Upper-Class-Dame. Dabei ist sie tief enttäuscht, aber keine Bitternis schwingt mit in ihrer Stimme, kein Hass, keine Wut. Nur zarte Trauer, leise Resignation und eine unendliche Melancholie. Zwar bekommt sie von ihrem Mann, dem Oberirrenarzt, materiell alles geboten, nur eben nicht mehr jene Liebe, die ihn einst so weit brachte, wider alle ärztlichen Gebote seine schönste Patientin sogar zu heiraten. Aber längst turtelt, flirtet und vögelt er mit den anderen Frauen seiner Entourage, mit Angestellten wie Patientinnen. Was zuletzt zum psychischen Zusammenbruch des Arztes führt.

Das Leben könnte, ach, so schön sein, wenn die Liebe nicht wäre. An dieser Einsicht hat sich Mozart in seinen Opern abgearbeitet, er hat dabei die zerstörerische und asoziale Seite der Liebe schonungsloser herausgearbeitet als die meisten seiner Kollegen. Auch in "Nozze di Figaro", dem scheinbar harmlosesten und heitersten seiner großen Stücke.

Lang schon ist der einst revolutionäre Impetus der "Nozze", der die sakrosankten Standesgrenzen zwischen Adel, Bürgertum und Unterschicht niederriss, in Harmlosigkeit verblasst. Und die vielen hier vertonten Bühnenanweisungen zu den Themen Zimmerausmessen, Verkleidungsunsinn, Briefeschreiben, Aus-dem-Fenster-hüpfen und allen Arten von Versteckspielen nehmen "Nozze"-Aufführungen viel von der kalt hellsichtigen Liebesanalytik des Stücks. Im Theater an der Wien hat Regisseur Felix Breisach konsequent aufs spätfeudale Ambiente und die Commedia-dell'Arte-Albernheiten verzichtet. Häufig sind fast alle Akteure auf der Bühne, Arzt, Personal und Insassen treiben an- und miteinander ihre Psycho-Experimente. Dafür muss der Regisseur in Jens Kilians salonhaft hellem Krankenbau jede Menge Aktionen erfinden, die nicht immer von letzter Genialität zeugen. Aber die individuelle Zeichnung der zehn Akteure und die tumultuöse Zuspitzung der Handlung aufs Ende hin gelingen vorzüglich.

Zudem passt Breisachs unsentimentale Lesart bestens zum genauso unsentimentalen Dirigieren von Marc Minkowski, der nachdrücklich daran erinnert, dass es in dieser Liebeskomödie kein einziges traditionelles Liebesduett gibt. Minkowski und seine Musiciens du Louvre Grenoble ziselieren das Ätzende der Eifersucht, von deren Schärfe wird Stéphane Degouts anfangs so selbstsicherer Chefarzt zum winselnden Gefühlskrüppel geschrumpft. Seiner Frau, Anett Frischs Rosina, gibt Minkowski eine Überdosis an Aussichtslosigkeit mit, die für alle verlassenen Frauen der Theatergeschichte reichen würde.

Während Emöke Baráths Hilfskraft Susanna - neuerdings hat der Chef sie zum Ziel seiner Avancen gemacht - lebensklug einen Bogen um den Dämon Liebe schlägt. Da ähnelt sie ihrer späteren Schwiegermutter, die Helene Schneidermann erfrischend handfest fernhält von der üblichen Opern-Oma. Susanna empfindet für ihren Figaro - Alex Esposito ist wie alle Männer schnell aufgeregt und nie hilfreich - eine skeptisch realistische Liebe, für den von Ingeborg Gillebo handfest linkisch gegebenen Möchtegern-Don-Juan Cherubino bloß schwesterliche Zuneigung und ihrem Chef bringt sie ironischen Abscheu entgegen. Susanna handhabt die Liebe wie ein weiteres Problem des Haushalts, das macht sie sympathisch, das erspart ihr deren Grausamkeit.

In Wien turtelt die erotisch unterforderte Rosina dafür munter harmlos mit Cherubino. Bald wird sie von ihm ein Kind kriegen. So berichtet es der "Figaro"-Erfinder Beaumarchais im Folgestück "Ein zweiter Tartuffe", das aber noch bitterer mit der Liebe ins Gericht geht, daher kein Erfolg war und so von keinem Großkomponisten vertont wurde.

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SZ vom 22.04.2015
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