Süddeutsche Zeitung

NS-Zeit:Hatte Anne Frank im Hinterhaus Angst?

Lesezeit: 2 min

Antwort hat eine feine Biografie mit zeitgenössischen Dokumenten, Fotos und Illustrationen. Sie zeigt, wie Erinnerung aussehen kann, wenn auch die Überlebenden des Holocaust gestorben sind.

Von Heribert Prantl

Noch ein Buch über Anne Frank? Ja, noch ein Buch. Noch ein Buch neben den vielen guten und den vielen gut gemeinten - dieses! Es ist ein wirklich gutes Lesebuch, ein Geschichtsbuch, ein Erzählbuch.

Es ist ein Buch über Anne Frank, über die Zeit, in der sie leben musste, über die kleinen Freuden und die großen Schrecknisse des Alltags in den NS-Jahren, ein Buch über Familie, Freundinnen und Freunde, über die Schule im Exil in Amsterdam, über die Jahre im Versteck und über den Tod im Konzentrationslager. Es ist das richtige und wichtige Begleit- und Einführungsbuch in das berühmte "Tagebuch der Anne Frank". Das Buch beeindruckt mit klarer uns verständlicher Sprache, mit spannenden Dokumenten, mit profunder Information. Das Buch ist wie ein Besuch im Anne-Frank-Haus in Amsterdam - anrührend und informativ zugleich.

Das Anne-Frank-Haus hat den Text und die wissenschaftliche Begleitung für das Buch besorgt; es ist das Haus in der Prinsengracht 263, in dem sich vom 6. Juli 1942 an Anne Frank mit ihren Eltern vor der Verfolgung durch die Nationalsozialisten versteckte. Es ist ein Museum, in dem alles über Anne Frank gesammelt wird. Im Buch sind Dokumente zu finden, die bisher nur in diesem Museum zu finden waren: Fotos, Zeitungsausschnitte, Plakate.

Das Buch bietet den 40 großformatigen, gut gestalteten Buchseiten eine zweite Leseebene - zwischen die Seiten gebundene Informationskarten: Nicht nur Annes Stammbaum, sondern Antworten auf so viele Fragen: Warum hat Hitler die Niederlande angegriffen? Hatte Anne Frank im Hinterhaus Angst? Wie kamen die Untergetauchten an neue Kleider und andere Sachen? Hatten die Untergetauchten Langeweile? Es sind kleine und große Fragen, die mit großer Ernsthaftigkeit verständlich beantwortet werden.

Das Tagebuch, mit rot kariertem Stoff eingebunden, bekam Anne zu ihrem dreizehnten Geburtstag am 12. Juni 1942. Sie durfte es sich selbst in einer Buchhandlung in der Nachbarschaft aussuchen. Die Familie war 1934 von Frankfurt nach Amsterdam ausgewandert, um der Verfolgung durch die Nationalsozialisten zu entgehen; die Nazis besetzten die Niederlande, und die Zustände dort wurden für Juden lebensgefährlich. Bald nach ihrem 13. Geburtstag machten sich Anne und ihre Eltern daher auf zu ihrem Hinterhaus-Versteck.

Dort wurde das Tagebuch sehr wichtig für sie, es half ihr, im Versteck auszuhalten: "Das Beste ist noch, dass ich wenigstens aufschreiben kann, was ich denke und fühle, sonst würde ich fast ersticken." Das schreibt sie am 16. März 1944. Am 4. August 1944 wird sie verhaftet - bis heute ist nicht ganz klar, von wem das Versteck verraten worden ist. Anne wird erst nach Auschwitz deportiert, dann ins KZ Bergen-Belsen. Dort stirbt sie, wenige Wochen vor Kriegsende, Ende Februar oder Anfang März 1945 an Fleckfieber.

Viele Schulen in Deutschland tragen den Namen von Anne Frank. Straßen und Plätze wurden nach ihr benannt. Ein Asteroid hat ihren Namen bekommen - er wurde in dem Jahr entdeckt, als Anne ihr Versteck bezog und ihr Tagebuch begann, das dann nach dem Krieg von ihrem Vater veröffentlicht wurde. Genügt das, um Erinnerung festzuhalten? Anne Frank wäre 2019 neunzig Jahre alt geworden. Auch von denen, die den Holocaust überlebt haben, sind nicht mehr viele am Leben. Wer wird Zeugnis geben, wenn die Zeitzeugen tot sind? Wer hält dann die Erinnerung wach? Wer sagt beredt und bewegend, was war? Ein Buch wie "Alles über Anne" kann dazu beitragen. Es ist ein Jugendbuch. Erkenntnisgewinn haben auch Erwachsene.

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Quelle:
SZ vom 31.12.2018
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