Süddeutsche Zeitung

Zum Tod von "Medicus"-Autor Noah Gordon:Das leibhaftige Moment

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Mit dem "Medicus" wurde er weltberühmt. Nun ist Noah Gordon im Alter von 95 Jahren gestorben.

Von Fritz Göttler

"Der Islam hatte im Mittelalter die einzigen guten medizinischen Schulen", erklärte der Romanautor Noah Gordon in einem Interview, "die in Europa waren Schlachthöfe." Aus diesem Gefälle entwickelte er das Buch, das ihn weltberühmt machte: "Der Medicus", erschienen 1986. Es erzählt die Geschichte des Waisenjungen Robert Jeremy Cole aus London, genannt Rob, der im 11. Jahrhundert als Helfer eines umherziehenden Baders beginnt und sich nach Asien aufmacht, nach Isfahan, um bei dem legendären Arzt Ibn Sina Medizin zu studieren. Auch die folgenden Romane, "Der Schamane" von 1992 und "Die Erben des Medicus" von 1995, wurden internationale Bestseller mit Millionenauflagen.

Noah Gordon wurde 1926 in Worcester, Massachusetts geboren. Nach dem Zweiten Weltkrieg begann er ein Medizinstudium an der Uni Boston, das er schnell aufgab, lieber widmete er sich dem Journalismus (und hoffte schon mal auf eine Schriftstellerkarriere). An der Uni hatte er Chaucer lieben gelernt, den englischen mittelalterlichen Autor. Gordon schrieb über Wissenschaft für den Boston Herald, wurde Redakteur des Magazins Science. 1965 veröffentlichte er seinen ersten Roman "Der Rabbi". Darin stecken seine Erfahrungen einer jüdischen Jugend in Amerika. Es geht um die Verbindung zwischen Menschen verschiedener Konfessionen, vor nicht ganz 50 Jahren noch ein kontroverses Thema. 26 Wochen hielt sich der Roman auf der Bestsellerliste der New York Times.

Ganz anders war das dann beim "Medicus". Als der 1986 in Amerika herauskam, wurden gerade mal 10 000 Bücher verkauft. Millionenauflagen gab es allerdings in Europa, vor allem in Deutschland und Spanien. In Amerika kam der Erfolg erst, als der Roman 2013 verfilmt wurde, von Philipp Stölzl, mit Tom Payne und Ben Kingsley. Der Kampf zwischen Rationalität und Aberglauben, Wissenschaft und Mythen ist ein großes amerikanisches Thema. Aber das leibhaftige, erotische Moment ist für den Erzähler Noah Gordon ebenso wichtig wie das rationale: "Er wurde ärgerlich", heißt es von Rob beim Beischlaf mit einer Frau, "als sie versuchte, ihm die richtigen Laute beim Höhepunkt beizubringen..."

Die etwas umständliche Erfolgsgeschichte des "Medicus" hat beim Autor ihre Spuren hinterlassen: "Ich gehe gern ab und zu nach Europa zurück, für eine Auffrischungsspritze... Ich denke, das war sehr gesund für mich. Es erlaubte mir, ein ganz normales Leben zu führen und dabei doch die Erregung des Ruhms zu kriegen."

Am Montag ist Noah Gordon im Alter von 95 Jahren gestorben. Sein letzter Roman, "Der Katalane", ist von 2007. Danach hatte Noah Gordon nicht mehr die Kraft, rechercheaufwändige große Epen zu verfassen.

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