Süddeutsche Zeitung

Neues Album von King Krule:Soft spielen mag er auch

Lesezeit: 3 min

Ein Treffen mit King Krule und die Frage, ob man eigentlich apart grölen kann.

Von Juliane Liebert

King Krule hat einen Goldzahn. Er steckt prominent ganz vorn in seinem Mund. Hinter dem Goldzahn wiederum steckt eine spektakuläre Geschichte, sagt King Krule, aber die erzählt er nicht. Nicht heute. Es ist Anfang Februar, ein Pub in Südlondon, nahe dem Sexby Garden. Der erstreckt sich entlang der Peckham Rye, ein endloses tristes Dreieck. An einer Bushaltestelle, die groß mit "Out of order"- Schildern überklebt ist, warten zwei Briten auf einen Bus.

Archy Marshall hat darauf bestanden, das Interview am lautesten Tisch der Herne Tavern zu machen. Was gar nicht so leicht ist, der Pub ist nämlich so gut wie leer. Nur aus der Küche tönt Töpfegeklirr, aus einem Lautsprecher The Smiths. Es gibt einen einzigen Tisch, an dem sowohl der Küchenlärm als auch Morrisseys Genudel sich vereinen. Der muss es sein. Klongklong - "This Chaaarming Man" - klingklongklirr. Dazwischen nölt Marshall seine Antworten in bauchigem Akzent, ein Brit-Pendant zum Kaugummi-Amerikanisch. Er liebe Unordnung, sagt er. Darum findet er seine neuen Songs auch live besser, mit Band.

"Ich mag, wie chaotisch das sein kann. Ich muss mich auf fünf andere Leute verlassen, darauf, dass sie es nicht vergeigen. Manchmal vergeigen sie's. Manchmal vergeige ich's. Ich mag das. So nah am Chaos zu sein, so nah am Trash. Ich mag es auch, laut zu spielen. Soft spielen mag ich auch."

Kanye West wollte mit ihm ins Studio - er hatte keine Lust

2011 wurde er mit seiner ersten EP berühmt, da war er 17. Er ist einer der wenigen, die es geschafft haben, die Gitarrenmusik der 2010er zu retten, erst mit Hip-Hop- und Jazz-Elementen, auf dem neuen Album "Man Alive!" (Young Turks/Xl/Beggars) mit Postpunk. Für die Art Musik, die er macht - verspulter, introvertierter, experimenteller Indierock - ist er extrem erfolgreich. Extrem erfolgreich bedeutet, dass er die Berliner Columbiahalle trotz Corona ausverkauft. Extrem erfolgreich bedeutet Millionen Streams. Bedeutet, dass Kanye West mit ihm ins Studio wollte — und er keine Lust hatte. Sagt er. Er hatte anderes zu tun. King Krule liebt schreckliche Filme, B-Movies. Low-Budget Spätausstrahlungen wie "Titanic 2". "Der ist großartig.", sagt er. "Ich gucke mir eine Menge solcher Filme an. Ich habe ein gutes Jahr damit verbracht, auf einen Fernsehbildschirm zu schauen." Er liest gerne, aber er ist vorsichtig, was er konsumiert. Weil Bücher ihn zu sehr beeinflussen. "Manche Dinge inspirieren einen, aber führen einen auch davon weg, wo man eigentlich hin will. Das ist mir bei einer Menge männlicher Autoren wie Michel Houellebecq aufgefallen, die ich nicht mochte, da ich den Eindruck hatte, sein Werk bringt mich näher zu etwas, das ich nicht will. . ." Dazu, ein Arschloch zu sein? "Ja." Er grinst. "Genau. Das haben Sie jetzt gesagt. Nicht ich."

Marshall will also kein Arschloch sein, und damit seine zarte Musikerseele nicht vom grobschlächtigen Männern wie Houellebecq verformt wird, verwendet er seine Freizeit lieber auf "Sharknado" und "Titanic 2" - und die Gedichte von Anne Sexton. Er ist im vergangenen Jahr Vater geworden, mitten in den Aufnahmen seines neuen Albums. "Man Alive!" ist wohltuend rumpelig. Sein Groove ist rau, der Gitarrensound warm. Die Harmonien sind dabei für den Indie-Kosmos unkonventionell, aber trotzdem eingängig, oft wie halbwach hingeklimpert.

Diese Stärken werden auf dem Album zunächst von der Attitüde dieser Musik verstellt, die nur in ganz wenigen Momenten in den Hintergrund tritt. Krules Songs schreien viel zu laut "Kunst". Pop kann auf scheinbar gegensätzliche Weise Bindungen aufbauen. Über Distanzierung, indem er eine artifizielle Welt schafft, in der sich diejenigen, die sie verstehen, als freie Menschen begegnen können. Die Talking Heads haben solche Musik gemacht oder die Pet Shop Boys, überhaupt viele Bands der Achtziger und einige Pioniere der Siebziger, als man mit den Mustern der Rockmusik brechen wollte.

Oder aber er stellt Unmittelbarkeit her. Die kann eine schöne Illusion sein, ein Rausch, in den man sich lustvoll stürzt, wie die Drei-Minuten-Opern des Mainstreampop. Sie kann ernst und verschwörerisch sein wie im Hip-Hop oder einst im Folk. Aber auch dann ist sie kein in Sound geflossenes ungefiltertes Leben, sondern immer gemacht, ein Artefakt. King Krule will gerne beides gleichzeitig. Unmittelbarkeit und die Distanz einer Kunstwelt. Sein Mittel, beides zusammenzuhalten, ist der Jazz. Das Problem mit Jazz im Pop ist aber, dass er Gefahr läuft, eine Atmosphäre des Aparten, der weichgespülten Hochkultur zu verbreiten, zumindest, wenn er aus den kulturellen Zusammenhängen gelöst wird, aus denen er kommt.

Manchmal scheint King Krule deshalb gegen das Geschmäcklerische seiner Musik anzugrölen. Dabei tänzelt seine Musik ständig mit lässiger Arroganz herum, ohne dabei zu einer Form zu finden - oder irrwitzig genug zu werden, um wirklich Formen sprengen zu können. Live ist das tatsächlich anders.

Bei seinem Auftritt in der Columbiahalle reißt die Band all das ein. Das Schlagzeug schreit nach Eskalation, die Musik nimmt Anlauf und keilt aus, bricht immer wieder aus den eigenen Strukturen aus. Es ist zu eng zum Tanzen, aber das Publikum besteht in der Ecke des Saales ohnehin hauptsächlich aus Paaren, die sich die Paartherapie nicht mehr leisten können und ihren Schmerz über King Krule transzendieren. Der kleine Bruder des Indie, der den Kummer der Welt auf sich nimmt. In "Baby Blue" klagt er, wie nur Männer klagen können. Das Licht passend zum Song blau, sein roter Schopf lila

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SZ vom 13.03.2020
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