Süddeutsche Zeitung

Neuer Roman von Sibylle Berg:Ihr bekommt das Buch, das ihr verdient

Lesezeit: 3 Min.

Um Liebe und Sex soll es in dem Roman "Der Tag, als meine Frau einen Mann fand" gehen. Stattdessen legt Sibylle Berg die Parodie auf das Mittelmaß mit der Polemik ins Bett. Ihre Ansage an die Leser ist deutlich.

Von Insa Wilke

Sibylle Bergs Bücher sind Exorzismen gegen die Banalität der aufgeregten bürgerlichen Müdigkeit. Sie erzählen von der Sehnsucht nach der schönen Seele. Sie tun das ätzend unterhaltsam und führen uns mit unserem widerlichsten Lachen vor - dem der Zyniker.

Ihr neuer Roman "Der Tag, als meine Frau einen Mann fand" wird als Buch über Liebe und Sex vermarktet. Tatsächlich stand bei Sibylle Bergs szenischer Lesung im Maxim-Gorki-Theater in Berlin, die mit großem Bohei auf der Verlagsseite und Spiegel Online im Livestream übertragen wurde, auch ein Bett auf der Bühne. Aber ist Sex das Problem und Liebe das Thema dieses Buches?

Der Sex wird im Roman schnell zur langweiligsten Sache der Welt und außerdem als Anlass für einige Schenkelklopfer missbraucht. Von der Liebe bleibt nur das Feigenblatt vor der eigentlichen Geschichte: der Parodie auf den aufs unterste Niveau absteigenden europäischen Mittelstand, mit besonderer Beachtung der Kreativbranche. Diese Parodie wird von Berg mit der Polemik ins Bett gelegt und verliert so auf dem Weg nach unten jede Erotik und Liebenswürdigkeit, also jeden Biss.

Der traurige Plot geht so: Erster Akt: Rasmus und Chloe hatten sich "in der zufriedenen Trostlosigkeit mittelalter, kinderloser Paare" eingerichtet. Zweiter Akt: "Nach zehn Jahren an der Seite eines bedeutenden Regisseurs wurde ich die Frau eines Verkannten", erzählt Chloe und verwandelt die berufliche Krise endlich auch in die ihrer Ehe. Dritter Akt: Kurze, missratene Utopie zu dritt, die für das Paar im Prinzip am Ausgangspunkt und für Chloes Liebhaber tödlich endet. Rasmus gibt den traurigen Clown, Chloe das Dornröschen.

Klingt so alltäglich wie klassisch. Wäre da nicht diese Sprache. Sibylle Berg beherrscht die Imitation öffentlicher Hohlformen in erstaunlicher Weise. Aufgebaut ist das Buch wie ein Comic. Unter Überschriften wie "Chloe denkt über Rasmus nach", "Rasmus kommt aufs Zimmer" oder "Chloe hat eine Verspannung" werden abwechselnd die nach innen verlegten, kaum unterscheidbaren Sprechblasen der beiden symbiotischen Hauptfiguren gefüllt, mit einer Sprache und Gedanken, die an Konventionalität nichts zu wünschen übrig lassen. "Das ist unglaublich gut", sagt Rasmus zum Beispiel über ein Gedicht, das ihn begeistert. "Tropfen für Tropfen bilden die Worte ein Meer aus Verzweiflung, das den Leser erfasst, in sich zieht und fortschwemmt. (. . .) Diese verzweifelte Suche nach dem Ausdruck, etwas Unaussprechliches sichtbar machen zu können."

Auf abschüssiger Bahn geht mit Erotik und Liebenswürdigkeit auch der Biss verloren

Sibylle Berg sucht offensichtlich nicht verzweifelt nach dem Ausdruck und will nichts Unaussprechliches sichtbar machen. Ihr geht es ums Plakative, als habe sie sich vorgenommen, Vokabular und Gedanken ihrer Figuren auf das Niveau von Teaser-Texten eines sehr durchschnittlichen Online-Magazins zu beschränken.

Im satirischen Erzählen ist vieles erlaubt. Es kommt aber auf den Akzent an. Setzt man ihn auf die menschliche Erfahrung, leuchten die Bösartigkeiten erst richtig. Steht nur mehr die misanthropische Abwehr dieser Erfahrung im Vordergrund, führt das in eine schale Resignation. In einigen ihrer Bücher, zum Beispiel dem letzten Roman "Vielen Dank für das Leben" leuchten Bergs Anti-Helden in all dem Zivilisationsdreck wie Engelsgestalten, ohne dass ihre Geschichten im Geringsten an Schärfe verlieren. In diesem Buch hingegen wirkt alles stumpf, abgegriffen.

Besonders deutlich wird das im mittleren Teil, der in einem Land "da unten" spielt. Hier will Rasmus Gutes tun, indem er den Wilden das Theater bringt. Die wittern den Selbstfindungstrip des weichen, weißen Europäers und wollen nur saufen, sodass Rasmus sich fragt: "Wie soll ich hier zu einer aufrichtigen Menschlichkeit finden, inmitten dieser Hohlköpfe?", und Chloe selbstkritisch jammert: "Ich konnte mir dieses Land hier nicht außerhalb von Fernsehstereotypen vorstellen." Das alles ist so unerträglich kokett in seinem Zynismus wie der Satz, der wohl Bergs Beschränkung auf Klischees als Widerstandsakt legitimieren soll: "das ist ja die Todesstrafe heute, nicht originell zu sein". Man hat das Gefühl, dass hinter solchen Sätzen das Mantra der Spiegel-Kolumnistin steckt, die vermutlich tagtäglich mit den Kommentaren einer geifernden Online-Leserschaft konfrontiert ist: Ihr bekommt jetzt das Buch, dass ihr verdient.

Welche Differenzierungsmöglichkeiten diese Geschichte der Abstiegs- und Lebensängste birgt, zeigt sich im Trailer zum Buch, in dem Matthias Brandt den scheiternden Rasmus spielt. Auf seinem Gesicht spielt sich all das ab, was der Text hätte erzählen können. Freilich, Satire hat den Auftrag, unerträglich zu sein. Sie bekäme Schwierigkeiten, wenn sie sich offen zu der Ernsthaftigkeit und Verzweiflung bekennen würde, die sie antreibt. Selbstzerstörerisch wird sie jedoch, wenn sie die Verachtung, die ihr Gegenstand ist, nur noch wiederholt.

Man wünscht sich von Sibylle Berg, die ja nicht nur eine zynische, sondern auch eine im besten Sinne sentimentale Autorin ist, wieder ein Buch, in dem sie aus der Anschauung heraus schreibt und auf die Avatare des medialen Durchschnittsgefasels verzichtet.

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Quelle:
SZ vom 02.03.2015
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