Süddeutsche Zeitung

Neue Klassik-CD:Jan Lisiecki mit Beethovens Klavierkonzerten

Lesezeit: 1 min

Von Helmut Mauró

Vor vier Jahren machte er mit Klavierkonzerten von Mozart Furore. Seitdem überrascht der kanadische Pianist Jan Lisiecki alljährlich mit immer neuen gelungenen Einspielungen klassisch-romantischer Klavierkonzerte. Chopin, Schumann, zuletzt Mendelssohn, jetzt Beethoven. Auch hier hört man sogleich: Lisiecki ist nicht angetreten, um die Musikgeschichte neu zu schreiben, sondern um die großen Werke bewundernd neu zu erzählen, um mit Liebe zur Sache zu verführen, nicht zu überrumpeln, und schon gar nicht, um das Publikum auf eine bestimmte Hörerfahrung zu zwingen.

Das hebt ihn ab von jenen ambitionierten und manchmal auch etwas übereifrigen Kollegen, die so erpicht darauf sind, spießigen Klassikfans die Leviten zu lesen und dabei dem Werk aber oft mehr wegnehmen, als sie Neues und Interessantes hinzufügen. Jan Lisiecki will nicht interessant sein, er will mit dem Publikum auf Forschungsreise gehen, um zu hören, ob in der Musik für die Gegenwart nicht mehr zu holen ist als gemeinhin erwartet. Deshalb klingt Beethoven bei Lisiecki weder nach verschärftem Mozart noch nach gedimmtem Rachmaninow, sondern wie ein völlig eigenständiger Klangkosmos, der in seiner Größe und Weite souverän Bestand hat. Da muss nichts verkleinert und verniedlicht werden, was erschrecken könnte; da muss umgekehrt auch nichts in Bizarre gezogen werden, was in seiner gewollten Sperrigkeit vielleicht angemessener und damit meist tiefer wirkt. Kurzum: Lisiecki weiß es nicht besser als Beethoven und versucht in aller Seriosität und Souveränität, dessen Hintergründigkeit und Doppelbödigkeit auszuloten, ohne dabei den Glanz der Oberfläche mutwillig zu beschädigen. Ganz im Gegenteil: Auch der schiere Klang ist eine Botschaft.

Manchmal, etwa im Andante des G-Dur-Konzerts, erinnert er in Tempo und Diktion ein wenig an Wilhelm Backhaus, der es so meisterlich verstand, äußere Gelassenheit und innere Hochspannung zu balancieren. Lisiecki gelingt dies ebenfalls auf erstaunlich natürliche Weise, gerade in den heiklen langsamen Sätzen, die hier ein Höchstmaß an Konzentration und Klangbeherrschung verlangen. Selbst das lieblichste melodische Detail entpuppt sich bei Beethoven ja oft als tragischer Kern.

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Quelle:
SZ vom 24.08.2019
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