Süddeutsche Zeitung

Netzkolumne:Müde Megapixel

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Wie die komplizierte Gegenwart mit der religiösen Anbetung der Technik Schluss gemacht hat.

Von Michael Moorstedt

Die Bilder leerer Säle und Hallen muteten durchaus postapokalyptisch an. Insofern hat die CES, die ehemals größte Technikmesse der Welt, den Nerv der Zeit schon gut getroffen. Statt wie üblich knapp 200 000 Besucher kam nur knapp ein Zehntel davon nach Las Vegas. An den Ständen warteten Flugtaxiprototypen, elektrisch angetriebene Schneemobile und smarte Vogelhäuschen vergeblich auf Interessenten. Das einzige, das an Normalität erinnerte, waren die geschmacklosen Muster der Hotelteppiche.

Früher wurden hier nicht nur Produkte vorgestellt, sondern auch Utopien verkauft. Das fällt natürlich schwer, wenn das Publikum hauptsächlich virtuell teilnimmt. Versucht hat man es trotzdem. Dem Metaverse, so wie es Mark Zuckerberg vor ein paar Monaten angekündigt hatte, konnte man nicht entrinnen. Die einfallslose Konkurrenz nahm das Schlagwort dankbar auf. In den Zoom-Calls und auch bei vereinzelten Live-Veranstaltungen wimmelte es vor Versprechen, dass das Metaverse jede noch so kleine Facette des eigenen Lebens revolutionieren werde. Wie genau, darauf blieb man freilich eine Antwort schuldig. Wer wird sich schon mit Details aufhalten angesichts des großen und Ganzen?

Die Verheißung war, man werde intelligenter sein, schneller laufen, ja sogar länger leben

Die Visionen von der Zukunft schienen nicht nur einfallslos und erschöpft, sie haben durch die Gegenwart ohnehin an Glaubwürdigkeit verloren. Noch nie war man so sehr auf Technik angewiesen wie heute. Und ebenfalls noch nie wird man häufiger Zeuge ihrer Mängel. Wer mag noch an ein vollkommen virtuelle Version des Internet glauben, die aussieht, wie in Science-Fiction-Filmen, wenn am gleichen Morgen mal wieder der Router gestreikt hat und die Videokonferenz mit dem Chef unmöglich gemacht hat?

Um die Fallhöhe zu verstehen, muss mal vielleicht dabei gewesen sein, wenn in präpandemischen Zeiten die aktuellen Geräte enthüllt wurden. Da wurde gedrängelt und es gab Handgemenge, nur um der erste sein zu dürfen, der ein Telefon berührt, es wurden stolz Selfies aufgenommen und atemlos live getwittert. Digitale Gadgets fungierten lange als Talisman, der vor dem geistigen Vakuum der Jetztzeit bewahrt. Reliquien aus kratzfestem Glas, Aluminium und seltenen Erden.

Technik war nicht nur Ausdruck, sondern auch Erweiterung der eigenen Person. Etwas, das den Nutzern vor der gewöhnlichen Welt rettete und ihn in eine andere, spannendere eintauchen ließ. Die Verheißung war, man werde mehr Details sehen, intelligenter sein, schneller laufen, ja sogar länger leben können. Doch statt Transzendenz gibt es jetzt immer nur noch ein paar mehr Megapixel, wird noch ein halbes Gigahertz mehr Leistung aus den Prozessoren gequetscht, werden neue Schnittstellen verbaut. Menschen, die noch vor wenigen Jahren angesichts einer neuen Smartphone-Generation in quasi-religiöse Verzückung gerieten, zucken heute müde mit den Schultern.

Unter den Neuheiten: ein Auto, das auf Knopfdruck die Farbe der Karosserie ändert

Dass es irgendwie zu einem Bruch zwischen Publikum und Branche gekommen ist, hat sogar das US-Magazin Wired gemerkt. War man dort einst stolz auf einen unbeirrbaren Technik-Optimismus, scheint es sich inzwischen herumgesprochen zu haben, dass die Dinge nicht ganz so rund laufen. Wie der neue Chefredakteur vergangene Woche in einem Manifest versprach, wolle man künftig "Geschichten über die größten globalen Probleme erzählen - und welche Rolle Technik dabei spielt".

Auf der CES ist man noch nicht so weit. Unter den vorgestellten Neuheiten war etwa ein Auto, das auf Knopfdruck die Farbe der Karosserie ändert. Wer sich anstrengt, mag das auch heute noch beeindruckend finden. Oder aber auch ein bisschen pervers in seiner Selbstvergessenheit gegenüber den Zeiten, in denen wir eben leben, und ihren Herausforderungen. Viel praktischer erschien da schon eine High-Tech-Gesichtsmaske. Aber auch hier fiel den Produktdesignern nicht viel mehr ein, als LED-Lichter und einen Lautsprecher zu verbauen, auf dass der Träger seiner Umwelt noch effizienter auf den Nerv gehen kann.

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