Süddeutsche Zeitung

Netz-Depeschen:Tag der Unfreunde

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130 Freunde hat der durchschnittliche Facebook-Nutzer. Die meisten allerdings mit beschränkten Leserechten. Wo bleibt da die Intimität? Exklusivität statt Vernetzung der Masse - damit will die Konkurrenz jetzt punkten.

Michael Moorstedt

Für ein Unternehmen, das seinen gesamten Umsatz der Eitelkeit seiner Kunden verdankt, hat Facebook erstaunlich wenig Ahnung von Intimität. Mit dieser Breitseite gegen das größte soziale Netzwerk der Welt startete der Silicon-Valley-Veteran David McLure eine lebhafte Diskussion um Nähe im Netz.

Es gebe dort, so McLure, einerseits den extremen Exhibitionismus auf Twitter, auf der anderen Seite die Exklusivität von E-Mails. Facebook mit seinem Modell der Halböffentlichkeit passe eigentlich gar nicht ins Bild. Für McLure besteht Intimität aus der Summe von Dauer und Stärke einer gemeinsamen Beziehung plus einem gemeinsamen Kontext.

Nimmt man dies als Grundlage, sieht es in den meisten sozialen Netzwerken finster aus: Der durchschnittliche Facebook-Nutzer, über den die unternehmenseigene Statistikabteilung aus Gründen der Vermarktung bestens Bescheid weiß, hat exakt 130 Freunde. Diese Zahl kommt den Ergebnissen soziologischer Forschungsstudien erstaunlich nahe.

Laut dem britischen Anthropologen Robin Dunbar liegt die Anzahl der maximalen Sozialbeziehungen eines Menschenlebens bei etwa 150. Dunbar glaubt an eine biologische Limitierung - der Neokortex in unserem Hirn sei nicht in der Lage, mehr Namen und charakterliche Unterschiede zu speichern. Da aber das soziale Kapital der Nutzer der wichtigste Aktivposten in der Bilanz ist, ist Facebook selbst ein wenig großzügiger und hat die Obergrenze für private Nutzer auf 5000 Kontakte festgelegt.

Facebook wächst dementsprechend weiter, langsamer zwar als zuletzt, aber immer noch stetig. Bald wird man in der Unternehmenszentrale in Palo Alto wohl das sechshundertmillionste Mitglied feiern. Doch der Erfolg könnte auch zu einer Belastung werden. MySpace, ein Vorläufer und ehemaliger Konkurrent, wurden seine lausige Programmierung zum Verhängnis und die Überbevölkerung.

Mit anderen Worten: Wenn alle da sind, wird es genauso unübersichtlich wie im echten Leben. Also sucht sich der Nutzer Wege, um die Komplexität des digitalen Miteinanders zu reduzieren. Was aber ist der Sinn des Freundesammelns, wenn die meisten Kontakte mit beschränkten Leserechten versehen werden? Der amerikanische Late-Night-Moderator Jimmy Kimmel übrigens hat deshalb für kommende Woche einen National Unfriend Day ausgerufen.

Intimität ist im ewig neugierigen Internet zu einer gefragten Dienstleistung geworden. Das langerwartete Open-Source-Netzwerk Diaspora will davon profitieren. Auch andere Webseiten wie MicroMobs geht es nicht mehr um die Vernetzung der Massen, sondern um Exklusivität. Und David McLures aufklärerischer Furor hat einen Haken.

Er ist als "Angel Investor" und Risikokapitalgeber einer von denen, die in Palo Alto und Mountain View nach jungen Menschen mit vielversprechenden Geschäftsideen suchen. Seine Facebook-Analyse ist letztlich also vor allem ein Rat an alle zukünftigen Unternehmensgründer: Wenn ihr mein Geld wollt, macht es so, wie ich es will.

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Quelle:
SZ vom 08.11.2010
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