Süddeutsche Zeitung

Nahost:"Das ist nicht mehr machbar"

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Israels Schriftsteller diskutieren, ob die Zweistaatenlösung noch realistisch ist oder nur eine Illusion.

Von Alexandra Föderl-Schmid

Als der bekannte israelische Schriftsteller Abraham B. Yehoshua die Zweistaatenlösung im April für tot erklärte, waren viele verblüfft, ja überrumpelt. Der 81-jährige israelische Schriftsteller ist in Israel ein Star und war in den vergangenen Jahrzehnten einer der leidenschaftlichsten Vertreter der Idee, dass nicht nur die Israelis, sondern auch die Palästinenser Anspruch auf einen eigenen Staat haben. Dann aber erklärte er in einem Gastkommentar in der linksliberalen Tageszeitung Haaretz, von dieser Forderung habe er sich nun verabschiedet. Ein Schock.

Als Yehoshua bei einem Treffen resümiert, was seitdem geschah, muss er kurz lachen: "Es gab positive Reaktionen auf der rechten Seite, sogar auf der extrem rechten Seite. Auch dort gibt es Menschen, die sagen, wir können nicht eine Art Apartheidsystem aufstellen. Auf Seite der Linken gab es ganz andere Reaktionen. Die fürchten sich." Tatsächlich fragten Beiträge, ob Yehoshua nun die Sache der rechten Regierung erledige. Aber er lässt sich nicht beirren: "Ich war mehr als 50 Jahre der Anwalt einer Zweistaatenlösung. Aber das ist nicht mehr machbar." Sein Vorschlag basiere auf den guten Erfahrungen im Zusammenleben zwischen Israelis und Palästinensern. Letztere gehören zu diesem Land, "sie kennen die Kultur, die Mehrheit spricht auch Hebräisch".

Yehoshua verweist auf das Westjordanland, das Kernland eines geplanten palästinensischen Staates. "Dort leben schon eine halbe Million Juden. Jerusalem wird von den Israelis als untrennbare Hauptstadt betrachtet. Niemand, niemand kann eine halbe Million Menschen evakuieren, man kann nicht einmal 100 000 entfernen." Yehoshua erinnert an die Kosten der Evakuierung der rund 8000 jüdischen Siedler aus dem Gazastreifen vor dreizehn Jahren, die 10 Millionen Schekel gekostet habe. Dabei geht es nicht nur ums Geld. Die Palästinenser wollen auch keinen Staat, "der nur aus Stücken besteht und Jerusalem nicht beinhaltet", sagt Yehoshua. Aber nach Jahrzehnten israelischer Siedlungspolitik ist nichts anderes im Angebot.

"Die einzige Lösung ist nicht Frieden, sondern eine Partnerschaft."

Yehoshua sieht die Palästinenser durchaus kritisch, auch sie haben dem Weg zur Zweistaatenlösung Hindernisse in den Weg gelegt, sagt er. Als ihnen der damalige Premierminister Ehud Olmert 2008 einen konkreten Friedensvorschlag unterbreitet habe, kooperierten sie nicht. "Die einzige Lösung aber ist nicht Frieden, sondern Partnerschaft. Eine Partnerschaft der Israelis mit den Palästinensern im Westjordanland, nicht in Gaza." Seine Empfehlung an den israelischen Premier und den Präsidenten ist so pragmatisch wie aussichtslos: Israel müsse den Palästinensern "nach und nach mehr Rechte einer Staatsbürgerschaft geben".

Für den Gazastreifen will er diesen Weg nicht, dort herrscht seit elf Jahren die radikalislamische Hamas. "Wir sind aus Gaza davongelaufen, so wie die Amerikaner aus Vietnam davongelaufen sind", sagt Yehoshua. Die Hamas aber habe "die schlimmsten Sachen gemacht, sogar nach der Räumung". Statt einen eigenen Staat aufzubauen, "graben sie Tunnel und schicken Raketen und Feuerdrachen. Sie müssen die Demonstrationen an der Grenze stoppen!"

Seit Ende März demonstrieren immer wieder Palästinenser an der Grenze, 160 von ihnen starben. Der offizielle Titel der Proteste ist "Marsch der Rückkehr". Yehoshua findet die Bezeichnung absurd: "Sie verlangen eine Rückkehr, aber wohin? Gaza ist Teil Palästinas. Wenn man das von ihnen geforderte Rückkehrrecht umsetzt, dann muss man ein Drittel von Israel zerstören, Menschen evakuieren, um das umzusetzen. Das geht nicht!" Ebenso wenig könne mehr als einer Million Palästinenser aus Jordanien oder anderen Staaten die Rückkehr in ihr ehemaliges Land erlaubt werden, wo sie vor der Staatsgründung Israels 1948 lebten. "Wenn das geschehen würde, kann man sich vorstellen, was geschieht."

Auch wenn Yehoshua zugibt, dass sein Vorschlag kein fertig ausgearbeiteter Plan ist, weil er eben keine Lösung für den Gazastreifen beinhaltet, ist dies kein Argument für die Zweistaatenlösung, diese sei erledigt, "totale Fiktion". Obwohl neben den Palästinensern und vielen Friedensaktivisten in Israel auch die Europäer daran festhalten? "Sie halten daran fest, aber haben nichts getan, um die jüdischen Siedlungen im Westjordanland zu stoppen. Nichts! Sie halten seit 20, 30 Jahren an dieser Vision fest, haben aber nichts zur Umsetzung beigetragen." Israels Premierminister Benjamin Netanjahu werde "wie ein König" von der deutschen Kanzlerin Angela Merkel und von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron empfangen.

Der israelische Publizist Uri Avnery sieht die europäische Rolle ähnlich skeptisch. "Die Europäer wollen nichts tun, was antiisraelisch aussieht. Deutschland besonders. Wenn Merkel über Israel spricht, ist sie vorsichtig", sagt er. Aber auch die israelische Regierung unter Netanjahu macht ihm wenig Hoffnung auf eine Zweistaatenlösung. "Wir haben eine Regierung, die gar nicht daran denkt, Frieden zu schließen. Weil ein palästinensischer Staat neben unserem Territorium für Netanjahu total undenkbar ist." Dennoch hält der 94-Jährige an der Zweistaatenlösung fest, zumindest tat er es bis zu diesem Gespräch vor einer Woche. Danach erlitt er einen Schlaganfall, seitdem bangt Israel um sein Leben.

Droht ohne Zweistaatenlösung eine "Diktatur extremistischer Juden"?

Einer der vehementesten Verteidiger der Zweistaatenlösung ist nach wie vor Amos Oz. In seinem jüngst bei Suhrkamp erschienenen Band "Liebe Fanatiker" warnt er: "Wenn es hier nicht bald zwei Staaten geben wird, ist es ziemlich wahrscheinlich, dass hier, um die Gründung eines arabischen Staates vom Mittelmeer bis zum Jordan zu verhindern, eine Diktatur extremistischer Juden, eine fanatische, rassistische Diktatur entsteht, die mit eiserner Hand sowohl die Araber als auch ihre jüdischen Gegner unterdrücken wird."

Der Schriftsteller David Grossman analysiert in seinem Essay-Band "Eine Taube erschießen" mehr die Schwierigkeiten der Umsetzung, statt sich mit Verve hinter das Projekt zu stellen. In der Zeit hat Grossman das vor Kurzem beschlossene Nationalstaatsgesetz kritisiert, das nur Juden in Israel ein Selbstbestimmungsrecht zuerkennt. Yehoshua lehnt das neue Gesetz als "diskriminierend gegenüber Minderheiten" ab. "Warum sollen die arabischen Israelis nicht ihre palästinensische Identität behalten?", fragt er: "Wir müssen weitere Lösungen finden, eine Konföderation zum Beispiel. Natürlich gibt es Hindernisse. Aber was kommt jetzt? Weiter Besatzung? Eine Art Apartheid?" Er habe mit seinem Vorschlag aufrütteln wollen, die "eingefrorene Situation auftauen".

Seit Jahren wird nicht mehr über den Friedensplan verhandelt, inzwischen warten alle auf den amerikanischen Präsidenten Donald Trump, der einen Vorschlag angekündigt hat. Aber seit Amerika seine Botschaft nach Jerusalem verlegen will, möchte der palästinensische Präsident Mahmud Abbas nicht mehr mit den Amerikanern sprechen. "Wer einen besseren Vorschlag hat, soll sich melden!", sagt Yehoshua. "Natürlich kann ich weiter an die Vision einer Zweistaatenlösung glauben, bis zu meinem Tod, der nicht allzu weit entfernt ist. Aber es hat keinen Sinn."

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SZ vom 16.08.2018
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