Süddeutsche Zeitung

Nachruf:Yahya Hassan ist gestorben

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Sein erster Gedichtband war 2013 ein Riesenerfolg, es folgte eine kleine kriminelle Karriere, und er wurde zur Projektionsfläche ethnischer Konflikte. Mit nur 24 Jahren wurde Yahya Hassan in seiner Wohnung tot aufgefunden.

Von Thomas Steinfeld

Als der dänische Lyriker Yahya Hassan im Oktober 2013 mit seinem ersten Gedichtband an die Öffentlichkeit trat, ein Immigrantenkind aus einer hässlichen Vorstadt von Aarhus und erst achtzehn Jahre halt, klangen seine Verse so: "An einem Tag / Bin ich ein gesunder und wohlgeordneter Dichter, / am nächsten bin ich des Autodiebstahls verdächtig / und des Straßenraubs und des Einbruchs".

Das schmale Buch machte Karriere. Mehr als hunderttausend Exemplare wurden in Dänemark, einem Land mit knapp sechs Millionen Einwohnern, verkauft, der Dichter wurde allgegenwärtig, manchmal laut und beinahe gewalttätig, manchmal von stolzer Verletzlichkeit und offensichtlich jemand, der sich mit nicht arrangieren wollte: nicht mit den Flüchtlingen, die in den Vorstädten von der Fürsorge leben und ihre Tage mit palästinensischen Fernsehsendern verbringen, nicht mit dem literarischen Milieu, das ihn fördern wollte, nicht mit dem Staat, dessen Pass er besaß (und vor allem nicht mit dem landläufigen Rassismus), und nicht mit den Gangs, in deren Nachbarschaft er lebte, obwohl er längst woanders hätte wohnen können. Dass er sich selber nicht an Integrationsdebatten beteiligen wollte, hinderte seine Sympathisanten wie seine Gegner nicht daran, ihn zur Projektionsfläche ethnischer Konflikte zu machen.

Offenbar auch deswegen folgten nach den großen Auftritten eine kleine Laufbahn in der Kriminalität, Schlägereien und Diebstähle, ein erfolgloses politisches Engagement in einer eigenen Partei, ein Aufenthalt im Gefängnis und einer in der Psychiatrie - und dann, im November vergangenen Jahres, der Gedichtband "2", in dem er die eigene Geschichte erzählt, vom literischen Debüt bis zum neuen Buch. Das hochgelobte Buch ist für den Literaturpreis des Nordischen Rates des Jahres 2020 nominiert, eine hohe Auszeichnung. Am Mittwoch wurde Yahya Hassan leblos in seiner Wohnung in Aarhus gefunden. Er war erst 24 Jahre alt.

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Quelle:
SZ vom 02.05.2020
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