Süddeutsche Zeitung

Nachruf:Volk und Republik

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War Rom demokratisch? Mit dieser Frage entfachte der Althistoriker Fergus Millar eine große Debatte. Im Alter von 84 Jahren ist er gestorben.

Von Johan Schloemann

Ein Hauen und Stechen großer Männer im Kampf um Vorherrschaft, bis im Jahr 44 vor Christus an den Iden des März Julius Cäsar ermordet wurde - so ist die späte römische Republik im Gedächtnis, wenn sie denn noch im Gedächtnis ist. Aber gehört diese Republik, die im Jahr 31 v. Chr. mit der Alleinherrschaft des Augustus endgültig im Kaiserreich verschwand, nicht auch zur Geschichte der Demokratie?

Mit dieser These jedenfalls hat der britische Althistoriker Fergus Millar eine der lebhaftesten Debatten seines Faches in Gang gebracht. In einer Reihe von Aufsätzen und in dem Buch "The Crowd in Rome in the Late Republic" (1998) stellte Millar das Volk von Rom in die Mitte der politischen Bühne. Schließlich fand damals fast alles Regieren - mit Ausnahme der Sitzungen des Senats - im Angesicht der Bürger statt. Das Volk musste unter freiem Himmel mit Reden überzeugt werden und war an Wahlen beteiligt.

Fergus Millars Demokratie-These bekam viel Widerspruch. Das republikanische Rom war eine Oligarchie, und trotz Volksversammlungen war die Verteilung von Macht und Ämtern ein abgekartetes Spiel, das fast immer zugunsten der aristokratischen Eliten ausging. Und doch bleibt Millars Perspektive wirkungsvoll: Ohne Rückhalt bei und ohne Rechtfertigung vor der Masse der Bürger konnte eine Politikerkarriere in Rom nicht gelingen - darauf mag sich die Forschung heute einigen. So konnte Fergus Millar, der als "Camden Professor" an der Universität Oxford einen seit 1622 bestehenden Lehrstuhl für antike Geschichte innehatte, ein älteres Verständnis der Republik wiederbeleben, das etwa auch die Verfassung der USA beseelt hat: Das alte Rom war nicht bloß eine perfide Clanherrschaft, sondern auch ein Ursprungsort politischer Freiheit.

Das Thema hätte für ein Forscherleben gereicht, aber Millar beackerte noch zwei weitere Felder, die für sich allein ein Lebenswerk sind: die Blütezeit des römischen Kaisertums und die antike Geschichte des Nahen Ostens zwischen Syrern und Griechen, Römern und Juden. Aus Schottland gebürtig, wurde er 1962 von Ronald Syme promoviert und lehrte am University College London, bevor er 1984 nach Oxford zurückkehrte. Als unabhängiger Kopf mit stupender Quellenkenntnis und als beliebter Lehrer gerühmt, wurde Fergus Millar von Akademien vieler Länder geehrt und erhielt 2010 die Ritterwürde. Am 15. Juli ist er im Alter von 84 Jahren gestorben.

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Quelle:
SZ vom 19.07.2019
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