Süddeutsche Zeitung

Nachruf:Der zornige Amerikaner

Der Country-Star Merle Haggard ist gestorben. Berühmt wurde er Ende der Sechziger als Stimme der schweigenden konservativen Mehrheit der USA.

Von Andrian Kreye

Neulich brachte die New Yorker Literaturzeitschrift The Paris Review ein Stück vergleichender Literaturwissenschaft, das die französischen Dichter François Villon und Paul Verlaine in eine direkte Linie mit dem Countrysänger Merle Haggard () setzte. Der Vergleich ist für eine amerikanischen Literaturmagazin konsequent. Alle drei stehen für eine Dichtung, die von Gefängniserfahrungen und Alkohol geprägt ist. Alle drei formulierten aber auch den Zorn des gesellschaftlichen Außenseiters so, dass sich Massen damit identifizieren konnten.

Und um Musik ging es im Country sowieso immer nur in zweiter Instanz. Davon abgesehen hat aber sogar Merle Haggards Lebensgeschichte literarisches Kaliber. Er hätte eine gute Figur in John Steinbecks Roman "Früchte des Zorns" abgegeben. Seine Eltern waren Wanderarbeiter, die von Oklahoma nach Kalifornien zogen. Merle war ein schwieriges Kind. Er verbrachte viel Zeit in Jugendstrafanstalten. Mit zwanzig landete er nach einem Raubüberfall im Gefängnis von San Quentin. Nach einem Auftritt von Johnny Cash dort schloss sich Haggard der Gefängnisband an. Nach drei Jahren kam er frei.

Bald landete er seine ersten Hits. Viele handelten - ähnlich wie bei Cash - vom Leben der Gesetzlosen und Außenseiter. Seinen großen Durchbruch hatte Haggard allerdings Ende der Sechziger als Stimme der schweigenden Mehrheit. Sein Hit "Okie From Muskogee" war eine Brandrede auf Hippies und Linke. Als der Song zur Hymne der Konservativen wurde, setzte er mit "Fighting Side Of Me" nach. So begründete er das Genre des "angry American". Am Dienstag starb er an den Folgen des Lungenkrebs. Er wurde 79 Jahre alt.

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Quelle:
SZ vom 08.04.2016
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