Süddeutsche Zeitung

Mythologie der Bohème:In Theben leben

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Wuppertal zeigt eine Ausstellung über die Dichterin und Zeichnerin Else Lasker-Schüler und ihren Freundeskreis.

Von Kia Vahland

Sie begann als Prinzessin, als Tino von Bagdad. Dann aber, ab etwa 1907, hatte die Künstlerin und Dichterin Else Lasker-Schüler eine bessere Idee: Sie verwandelte sich in Jussuf, Prinz von Theben, ein irgendwie orientalisch anmutender schöner Mann. Tino hatte als Alter Ego ausgedient. Jussuf ist nun ihr Protagonist, er trägt einen Bubikopf wie seine Schöpferin, reitet auf Kamelen und Dromedaren durch Palästina und Ägypten. Als Jussuf ist sie "weder siebzehn noch siebenzig Jahre", wie sie sagt, sie habe "keine Uhr und keine Zeit".

Das passt zu einer Autorin und Künstlerin, die schon als Kind - angeblich mit fünf Jahren - zu dichten begann und gerne Jerusalem zeichnete. Jussuf ist ein bisschen der von seinen Brüdern verratene Joseph, ein bisschen Melancholiker, immer scharfer Beobachter. Er ist Jude wie seine Erfinderin, aber anders als sie kann er im Mythenland reisen, wie er will ( linke Abbildung: "Theben mit Jussuf" von 1920, Lasker-Schüler-Gesellschaft Wuppertal).

Das klingt eskapistisch, ist es aber nicht, wie nun in Wuppertal, der Heimatstadt der Dichterin, eine Ausstellung zeigt. Denn Jussuf und Else hausten nicht als verschworenes Paar im stillen Kämmerlein, sie gesellten sich unter die Maler und Dichter der Avantgarde. Else Lasker-Schülers Künstlerfreunde wussten und akzeptierten, dass sie auch Jussuf war. Sie kannten die Stimmungsumschwünge der Freundin, schätzten ihren expressiven Übermut, halfen, wenn sie verzweifelt war, sei es durch finanzielle oder moralische Unterstützung.

Karl Schmidt-Rottluff porträtierte die Autorin 1912 als "Lesende" in einem rot-orange gezackten Gemälde, das ihren Geistesblitzen entspricht. Zu ihrem Kreis gehörten Edvard Munch, Paul Klee, George Grosz, Gabriele Münter. Mit Gottfried Benn verband sie eine Liebesbeziehung, mit Franz Marc ein inniger ästhetischer Austausch. (Leider sind einige der Postkarten, welche die beiden einander sandten, in der Schau nur als Faksimiles zu sehen.)

Dabei blieb Lasker-Schülers Zeichenstil konventioneller als der ihrer Künstlerfreunde. Die formalen Experimente geht sie vor allem in ihrer Dichtung ein, die Zeichenkunst kleidet das Reich ihrer Imagination nur aus. Der Strich ist zart, aber konturiert, die Farben leuchten, oft führt eine Hauptfigur die Betrachter durch die Bilder. Diese erinnert, wie Fotos zeigen, zumeist an die Malerin. Und an Jussuf - etwa im Bild mehrerer "Indianerinnen", die eine energisch schreitende Gestalt mit dunklem Pagenkopf anführt ( rechte Abbildung, um 1930, Jüdisches Museum Frankfurt).

Mit ihrer Zeichenkunst kleidete sie das Reich ihrer Imagination aus

Es scheint, als habe Else Lasker-Schüler recht unbehelligt von formalen und inhaltlichen Konventionen "Ich" sagen und malen können. Zu vermuten ist, dass ihr Freundeskreis ihr genau dabei half - weil die anderen sie nicht in eine Rolle zwängten, ihr weder das Künstler- noch das Dichtertum aberkannten, sie nicht auf das Frausein festlegten, aber ihr auch nicht die Weiblichkeit absprachen. Es ist ein Verdienst der Ausstellung, diese positive Gruppendynamik herauszuarbeiten. Else Lasker-Schülers Œuvre ist einzigartig, aber allein war sie nicht.

Else Lasker-Schüler: Prinz Jussuf von Theben und die Avantgarde. Von der Heydt-Museum Wuppertal, bis 16. Februar. Katalog 25 Euro.

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Quelle:
SZ vom 19.11.2019
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