Süddeutsche Zeitung

Musik:Teodoro Anzellottis Akkordeon

Lesezeit: 1 min

Von Reinhard J. Brembeck

Das Akkordeon, der Name wird erstmals vor 190 Jahren in Wien verwendet, ist das Raubtier unter den Instrumenten. Nichts ist vor seinem Balg sicher, es verleibt sich Bach genauso mühelos ein wie Mozart, Strawinsky oder all die modernen Komponisten, die, fasziniert von dieser aggressiven Handorgel und ihren unerschöpflichen Möglichkeiten, liebend gern fürs Akkordeon schreiben. Schließlich kann ein Akkordeon genauso viel und schnell spielen wie ein Klavier, darüberhinaus atmet sein Ton. Der Spieler kann ihn durch den Luftdruck modellieren, er kann ihn an- und abschwellen lassen, aber er kann ihm nie seine archaische Direktheit nehmen, die den Hörer unmittelbar anspringt und nie wieder loslässt. Das Akkordeon wird geliebt oder gehasst, gleichgültig lässt es niemanden.

Teodoro Anzellotti, in Apulien geboren und in Deutschland aufgewachsen sowie beheimatet, ist der neugierigste und vielseitigste unter den Akkordeonspielern. Er hat mehr Stücke uraufgeführt als jeder andere seiner Kollegen und er taucht auch immer wieder ganz tief in die Musikgeschichte ein. Dann entdeckt er fürs Akkordeon Stücke von Komponisten, die nie an dieses Instrument gedacht haben, aber von Anzellottis Arrangements und Aufführungen hellauf begeistert wären. Das gilt für Bach genauso wie für Scarlatti, Frescobaldi, Satie oder Froberger. Jetzt hat Anzellotti den Bach-Zeitgenossen, Musiktheoretiker, spätberufenen Opernmacher und Cembalovirtuosen Jean-Philippe Rameau mit seinem Akkordeon geadelt. Rameau, das hört man seiner Musik heute kaum mehr an, war einst ein Avantgardekomponist, dessen eigenwillige und oft rätselhafte Stücke Widerspruch weckten. Anzellotti reanimiert in seiner bei der Schallplattenfirma Winter & Winter erschienen CD "Tourbillons de Rameau" die einstige verstörende Avantgarde Rameaus, indem er immer wieder Stücke moderner Komponisten einfügt, von Xavier Dayer, Nadir Vassena, Brice Puasset, Eun-Hwa Cho, Johannes Schöllhorn und Fabio Nieder. Deren moderne Klänge erwecken, vermittelt durch den harsch unsentimentalen Atem des Akkordeons, in Rameaus oft skurrilen Erfindungen das damals Fremde und Rätselhafte zu einem neuen Leben.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4461101
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 25.05.2019
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.