Süddeutsche Zeitung

Musical:Verlieben leicht gemacht

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Die nostalgische Europapremiere von "Die fabelhafte Welt der Amélie" im Werk 7

Von Michael Zirnstein

Verlieben, nichts ist leichter als das. Zwei Menschen, die irgendwie zusammenpassen, sanfte Widerstände, ein Blick - na bitte. Aber auf der Bühne ist nichts schwieriger darzustellen, so, dass es das Publikum miterwischt. Insofern ist "Die fabelhafte Welt der Amélie" als Musical ein Wagnis, verkuppelt darin doch die Bedienung eines Pariser Cafés als Kulleraugen-Amor mit Bob-Frisur Menschen am laufenden Band. Selbst hat sie gewiss ein Riesenproblem mit Nähe - ihr Vater hat sie als Kind nur einmal monatlich mit weißem Handschuh berührt. Aber wie man aus der Quelle, dem Kassenschlager-Film Jean-Pierre Jeunets von 2001, weiß, schlägt der Liebesblitz auch bei der naiv Verkorksten ein. Von dem Moment an, da sie den seltsamen Burschen Nino zerknüllte Passbilder unterm Fotofixautomaten hervorstochern und in ein Album einkleben sieht, ist die Frage nur noch, ob es auch beim Zuschauer funkt.

Mit "Fack ju Göhte" hatte es der Regisseur Christoph Drewitz vor einem Jahr an selber Stelle im Theater Werk 7 leichter: Die Filmvorlage frischer, die Sprüche fieser, die Story fetziger - so konnte er die Lehrer-Liebelei in seinem ersten Dauerläufer-Musical für den Bühnen-Riesen Stage Entertainment in München einfach nebenher mitlaufen lassen. Das klappte mehr als prima - und floppte trotzdem. "Amélie" ist jetzt der Neubeginn, und doch ist vieles schon vertraut. Das tolle Theater etwa, das Andrew Edwards von der Göhte-Schulturnhalle ins Retro-Café Des Deux Moulins mit Tabac-Theke verwandelt hat. Der breite Saal erfordert mit seiner unveränderbaren Arena ein ganz eigenes Spiel: Die Schauspieler müssen alle anderen Orte darstellen, und das Publikum muss mitspielen. Nicht nur die paar Zuschauer an den Bistrotischen auf der Bühne, jeder muss mal ran, wie auf der Fan-Tribüne bei Paris Saint Germain hält schon mal ein ganzer Block Suchplakate mit Amélie und Zorromaske hoch. Und die Schauspieler erobern den ganzen Raum wie bei der Schnitzeljagd durch Montmartre, wenn Amélie ihren Schwarm mit blauen Pfeilen zu sich und von sich weg führt, hoch auf die Galerie mit dem Apartment, in dem die Musiker spielen, durch die Zugänge, über die Ränge. Dabei wird hübsch gesungen, überall bewegt sich was, fließt, rollt. Das treibt - wie bei "Göhte" - teils groteske Blüten, wenn Elton John (André Haedicke) samt Gospelchor Lady Di (respetive oder Lady Amelei) bezirzt, oder Stangenlauch-Zombies den gemeinen Gemüsehändler bedrängen.

Das Spiel fängt die umherhuschenden Blicke immer wieder ein. Als Amélie erstmals erscheint, als Mädchen, tappst da schüchtern eine Puppe herein. Sie wird geführt von Sandra Leitner, der Hauptdarstellerin. Sie bleibt im Hintergrund, ehe sie als Kellnerin die Welt - und durchaus auch die Gäste - mit ihrem Charme beglückt. Die Puppen - ob Amélies einziger Freund Goldfisch "Pottwal" oder des Vaters geliebter Gartenzwerg auf Weltreise - sie zeigen die magische Innenwelt, wofür Jeunet einst in die Trickfilmkiste griff.

So basteln Drewitz und das Kreativteam aus dem französischen Film und der amerikanisierten Broadway-Vorlage ein eigenes kleines Klischee-Dorf. In dem werden alte Erinnerungen wieder lebendig wie in einem lange nicht gehörten Märchen: Die feine Combo spielt mit Akkordeon, Cello, Klavier und Oboe die chansonhaft plaudernden Musicalstücke von Daniel Messe wie auch die Film-Hits von Yann Tiersen. Elf Darsteller lassen ein Vielfaches an schrulligen Figuren und deren Geschichten erscheinen, wie den Glasknochenmann, Künstler und Amélie-Vertrauten Dufayel (der wandelbare Rob Pelzer).

Das ist bestimmt fabelhaft gemacht, bis auf einigen Klimbim und auf die Brüller abzielenden Sex-Gags. Und ist das für die heutige Zeit, 18 Jahre nach dem Film, nicht zu niedlich? Wer hält so viel Glück schon aus? Doch dann kommt wieder wer zusammen, und seien's Amélie und Nino (Andreas Bongard), und die anderen singen im Doowop-Chor dazu den Sound der rasenden Herzen: "bum, dabadabada, bumm, dabadabada." Ach, egal, wie sie es machen, es erwischt einen halt doch.

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Quelle:
SZ vom 16.02.2019
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