Süddeutsche Zeitung

Musical:Reim dich

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Sondheims "Lächeln einer Sommernacht"

Von Egbert Tholl, München

Eines der großen Probleme, die das Genre Musical hierzulande hat, sind die Songtexte. Das gilt im Besonderen für jene Musicals, die aus dem Englischen übersetzt werden. Am besten schiene es da meist, man sänge ganz einfach in der Originalsprache. Manches ist zwar erträglich, hier zum Beispiel aus "Send in the clowns" "Wo sind die Clowns" zu machen. Aber wahre Leckerbissen kulinarischer Sprachbehandlung sind Verse wie: "Jeder Tag ein kleiner Tod, morgens und im Abendrot." Oder vielleicht auch beim Abendbrot, das wäre grad wurscht. Noch schöner vielleicht: "Die Sonne sinkt, sie folgt ihrem alten Instinkt."

Das ist gemein. Aber wahr. Das Staatstheater am Gärtnerplatz bringt Stephen Sondheims Musical "Das Lächeln einer Sommernacht" heraus (im Original: "A little night music"), Intendant Josef E. Köpplinger inszeniert selbst und immer dann, wenn niemand singt, ist es toll. Das liegt nicht am Können der Menschen dort oben auf der Bühne im Cuvilliés-Theater, das liegt einfach daran, was sie zu singen haben. Sondheim ist hier - in anderen seiner Stücke funktioniert es besser - ein Nivellierer besonderer Güte. Alles, aber auch wirklich alles, was an der Geschichte und der Figurenkonstellation interessant sein könnte, wird von ihm in die Sphäre musikalischer Belanglosigkeit überführt, jeder mögliche Abgrund mit Kitsch aufgefüllt.

Immerhin: Außer der Nummer mit den Clowns gibt es einen Lebenssehnsuchtssong der Hausangestellten - an einem Abend, der zwei Stunden und 45 Minuten dauert, kommt man also auf etwa sechseinhalb Minuten erträgliche Musik. Da kann auch Andreas Kowalewitz nichts machen. Er dirigiert ein sorgsam und luzide erarbeitetes Arrangement, aber jede Form musikantischer Güte verrinnt hier in der Wüste der Qualität des Materials. Respektive natürlich Nicht-Qualität. Aber immerhin führt das dazu, dass man einen unglaublich entspannten Abend erlebt, weil ein großes Nichts halt auch nicht belastet.

Aber: Es gibt diese Momente, in denen man spürt, weshalb Köpplinger das Stück macht. In diesen und dann rein mit Dialog, also Schauspiel, überführt Köpplingers Regie die Vorlage der Tonstümperei in die Gegenwart. Die Vorlage ist Ingmar Bergmans gleichnamiger Film aus dem Jahr 1955, eine bittersüßschwere Komödie über das Entdecken, Suchen, Finden und Verlieren der Liebe, Strindberg-klug und im Dialog mitunter irrsinnig witzig, trotz aller verträumter Glutäugigkeit. Köpplinger löst hier nun manchen Triebstau auf, zaubert aber auch Traurigkeit auf die spiegelnde Bühne, schafft bestes, gescheites Boulevardtheater und lässt die grandiose Gisela Ehrensperger über das Geschehen wachen. Bis wieder gesungen wird.

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Quelle:
SZ vom 06.02.2016
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