Süddeutsche Zeitung

Museum Penzberg:Kurzes Aufblühen

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Revolution und Räterepublik: Eine Doppelausstellung über Stadtgeschichte und Heinrich Campendonks Kunst

Von Sabine Reithmaier

Es ist 100 Jahre her, dass Penzberg zur Stadt erhoben wurde. Mitten in der wilden Zeit zwischen Revolution und Räterepublik unterzeichnete Erhard Auer, der erste Innenminister des Freistaats Bayern, am 12. Februar 1919 die Urkunde, wenige Tage bevor Ministerpräsident Kurt Eisner ermordet und er selbst im Landtag angeschossen wurde. Ein knappes Zeitfenster, das der provisorische Volksrat der Bergwerkskolonie zu nutzen wusste, um endlich dem Einfluss der Grubenadministration auf die Kommunalverwaltung zu entgehen. Mit einer Doppelausstellung erinnert das Penzberger Campendonk-Museum an diese bewegten Tage. Während in "Stadt statt Stillstand" mit Fotos, Filmausschnitten und Dokumenten die historischen Fakten lebendig inszeniert werden, steht in der zweiten Schau das Engagement für die Neuausrichtung der Kunst im Mittelpunkt.

Heinrich Campendonk (1889 bis 1957) lebte damals in Seeshaupt. Das jüngste Mitglied des Blauen Reiters hatte als einziger Maler dieses Kreises die Bergarbeiterkolonie als Thema entdeckt. Vermutlich hatte das Erleben der Kriegsjahre seinen Blick für eine andere Seite des Alltags im Voralpenland geschärft. Sein gebeugter "Penzberger Reiter" hat mit Kandinskys galoppierenden Reitern wenig gemein; die Berge im Hintergrund zeigen keine Voralpengipfel, sondern Abraumhalden des Bergwerks. Die Phase freilich, in der sich der Maler offen sozialkritisch äußert, währte nur kurz.

Campendonk stand 1918 bei Herwarth Waldens Berliner Galerie "Der Sturm" unter Vertrag. Ohne sein Wissen war er als Sturm-Künstler auch Mitglied in den beiden Berliner Vereinigungen "Novembergruppe" und "Arbeiterrat der Kunst"; Walden hatte seine Künstler einfach alle angemeldet. Beide Gruppierungen strebten eine Neuausrichtung der Kunst an. Doch Campendonk hatte dagegen wohl auch nichts einzuwenden, denn er beteiligte sich bereitwillig an einer im Frühjahr 1919 gestarteten Umfrage des Arbeitsrats und drängte in der Schrift "Ja! Stimmen zur Kunst" auf eine Reform der künstlerischen Ausbildung. Er empfahl Künstlern erst eine Lehrzeit als Techniker, Tischler, Schlosser. Sollte sich später herausstellen, dass die Begabung für die hohe Kunst nicht reiche, "kann der junge Mensch wieder ins Handwerk zurück, wodurch das Kunstproletariat vermindert würde". Außerdem könne, so Campendonk, das Lehramt nur eine Ehrenamt sein, "welches für eine Lebensversorgung keinerlei Sicherheit bietet".

Neben dem Text wurde in der Schrift erstmals sein "Blumenbild" veröffentlicht, eine um 1918 entstandene, abstrahierte Gartenlandschaft, die wuchernden Sträucher und Blumen signalisieren Aufbruchstimmung. Normalerweise hängt das Gemälde in einer belgischen Privatsammlung. "Ein Krimi, bis wir das Bild hier hatten", sagte Museumsleiterin Diana Oesterle. Dass für den Maler Kunst und Handwerk eine Einheit bildeten, verdeutlichen Exponate im nächsten Raum: Ein reizender Dosendeckel mit Elefant und Pferd, geschaffen für seine Frau Ada, eine Kette und Stickereientwürfe. Dazu frühe Bilder, die den in Krefeld geborenen Maler als Anhänger des Impressionismus ausweisen.

Im Erdgeschoß des Altbaus ist der Künstler inmitten von Kollegen zu erleben, die wie er die Folgen des Ersten Weltkriegs festhalten. Armut, Schmerz und Leid erfüllen die Bilder von Albert Bloch oder Fritz Schaefler, mit dem Campendonk auch im Münchner "Aktionsausschuss Revolutionärer Künstler" zusammentraf. In seinen Interieurs hält Campendonk das ärmliche Leben der Bergarbeiter fest, die Gestalten wirken in "Die Armen" wie erstarrte Marionetten. Von 1920 an zieht er sich, enttäuscht vom Scheitern der politischen Pläne, vom aktuellen Geschehen zurück, malt Gegenentwürfe von paradiesischer Atmosphäre. Tier und Mensch im Einklang. Idyllen eben.

1919. Campendonk und die Revolution / 1919. Stadt statt Stillstand , bis zum 3. November, Museum Penzberg Sammlung Campendonk

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SZ vom 31.08.2019
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