Süddeutsche Zeitung

Museum:Die Last des Vergoldeten Zeitalters

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In New York eröffnet das Metropolitan Museum nach der Schließung wegen der Corona-Krise mit einer verspäteten Ausstellung zu seinem 150. Jubiläum. Zwangsweise stellt sich das Haus dabei auch der eigenen Geschichte.

Von Sebastian Moll

Das New Yorker Metropolitan Museum hatte sich groß herausgeputzt zu seinem 150-jährigen Bestehen, die britischen Galerien waren für viele Millionen Dollar erneuert worden, bedeutsame neue Schenkungen stolz aufgehängt, es waren Symposien geplant worden, und natürlich sollte eine große Jubiläumsausstellung stattfinden. Doch dann breitete sich das Coronavirus in New York aus wie kaum sonst irgendwo auf der Welt, die Stadt wurde mitsamt aller Kulturinstitutionen über Nacht dichtgemacht, und die Geburtstagsparty fiel ins Wasser.

Die Epidemie war nicht der einzige Grund, warum sich 2020 als denkbar schlechtes Jahr für ein Museum der Weltkultur entpuppte, um seine Geschichte und Tradition zu feiern. Als sich nach dem Mord an George Floyd die "Black Lives Matter"-Bewegung zu einem globalen Phänomen entwickelte, gerieten auch Institutionen wie das Met in das Fadenkreuz der Revisionisten, die seit Beginn des Sommers mit erfrischtem Eifer Strukturen der Unterdrückung und Marginalisierung in westlichen Gesellschaften ins Visier nehmen.

So startete in der vergangenen Woche mit der zaghaften Wiedereröffnung der New Yorker Museen auch die Jubiläumsausstellung des Metropolitan unter völlig veränderten Vorzeichen. Eine unselbstkritische Feier des Museums, das seit anderthalb Jahrhunderten Kunstschätze aus allen Kulturkreisen der Welt zusammenrafft, war zwar ohnehin nicht geplant gewesen. Doch nach diesem Sommer musste sich das Metropolitan ganz genau überlegen, wie es seine Geschichte erzählt und sich in der sich rapide wandelnden Kulturlandschaft neu verortet.

Der europäische Adel erschien ihnen in Geschmack, Bildung und Lebensart überlegen

Das Metropolitan Museum ist, wie alle enzyklopädischen Museen vom British Museum bis zum Louvre, tief in einem kolonialistischen Paradigma verankert. Dieses Erbe zu leugnen ist im Jahr 2020 kaum mehr möglich. Doch wie erzählt ein Museum wie das Met dann seine Geschichte?

Die Antwort, die das Museum in seiner Jubiläumsausstellung gibt, ist eine eher unentschlossene. Man gibt an einigen Stellen zu, dass die Institution auf einem nach heutigen Maßstäben fragwürdigen Fundament steht. So weit, sich selbst offen infrage zu stellen, geht das Museum freilich nicht.

Der Eröffnungsraum der Ausstellung, der eine Skulptur des japanisch-amerikanischen Bildhauers Isamu Noguchi mit einer Figur des kongolesischen Künstlers Nkisi N'Kondi und einem Marilyn-Monroe-Porträt von Richard Avedon zusammenbringt, lässt zunächst einmal den guten Willen erkennen, die Kulturen zu enthierarchisieren und in einen fruchtbaren Dialog miteinander zu bringen.

Der Rest der Ausstellung erzählt jedoch im Wesentlichen die Geschichte dieser Welt-Schatzkammer als glanzvolle Geschichte seiner Expansion. Das Metropolitan Museum wurde von den Pionieren der amerikanischen Industrie in der Zeit nach dem Bürgerkrieg gegründet, dem sogenannten "Gilded Age", in dem in den USA sagenhafte Vermögen wie die der Rockefellers, Vanderbilts und Pierpont Morgans gemacht wurden.

Die amerikanischen Magnaten begannen damals im großen Stil, Kunst zu sammeln, zweifellos auch aus einem Minderwertigkeitskomplex gegenüber dem europäischen Adel, der ihnen in Geschmack, Bildung und Lebensart überlegen erschien. Gleichzeitig waren sie von Andrew Carnegies Philosophie der Philanthropie beseelt, die besagte, dass alles Vermögen, das den individuellen Bedarf übersteigt, den Zielen der Bildung und des Weltfriedens gewidmet werden soll. So war das Metropolitan Museum immer sowohl Symbol für den unermesslichen Reichtum des amerikanischen Kapitalismus als auch ein Geschenk an die Bürger.

Die Jubiläumsausstellung verweist dann auch pflichtschuldig darauf, dass die großen Vermögen der Gründer oft aus Branchen stammten, in denen unmenschliche Produktionsbedingungen herrschten. Auch dass die Stifter ausschließlich der angelsächsisch-protestantisch-weißen Oberschicht angehörten, wird nicht verschwiegen. Dennoch wird ihrer Sammlerleistung und ihrer Bedeutung für das Museum im Überschwang gehuldigt. Der Beitrag der Familie Havemeyer etwa, die als erste Amerikaner im großen Stil Impressionisten gesammelt hat, wird mit einem eigenen Raum gewürdigt. Die Tatsache, dass sie ihr Vermögen dem nicht selten grausamen Zuckerhandel verdanken, wird zwar erwähnt. Doch es bleibt am Ende eine Fußnote.

So bleibt die Jubiläumsausstellung im Kern ein stolzes Zurschaustellen der Reichtümer des Met und somit eine Art Destillat des Museums. Komplizierte Themen wie Restitution und Provenienz der Artefakte, die meistens aus den Privatsammlungen der Stifter stammen, werden bestenfalls gestreift. Überhaupt nicht kritisch diskutiert wird die Organisation des Museums, die nach Ansicht vieler Kritiker nach wie vor intrinsisch eurozentrisch ist. Die Abteilung für "Ozeanien, Asien und den Amerikas", die in den vergangenen Jahren häufig als kolonialistische Zusammenfassung des "Anderen" bezeichnet wurde, wird gar als Errungenschaft gefeiert.

Ein Blick in das aktuelle Programm demonstriert diesen Willen zur Selbstkritik

Das ist alles ein wenig schade, zumal das Metropolitan Museum unter Max Hollein durchaus dazu bereit ist, sich infrage zu stellen und neue Wege zu gehen. So sagte Hollein zur Eröffnung der Ausstellung, dass er sich bewusst sei, "dass die Entwicklung des Museums auf einer Logik beruht, die man als weiße Suprematie bezeichnen muss". Ein Blick in das aktuelle Programm nach der Wiedereröffnung demonstriert diesen Willen zur Selbstkritik eindrucksvoll.

Da ist etwa die herausragende Ausstellung des afroamerikanischen Zeichners Jacob Lawrence mit seinem Zyklus zu den amerikanischen Revolutionskriegen, in denen er den Widerspruch zwischen dem Kampf gegen Versklavung nach außen und der Beibehaltung der Sklaverei im eigenen Land wirkungsvoll herausarbeitet.

Da ist auch die Ausstellung zur Kunst der Sahel, die einen ganz unkolonialistischen Blick auf die Kulturen dieser Region wirft. Und da sind die großen Wandgemälde des indigenen Künstlers Kent Monkman.

Das alles zeigt interessante Wege in die Zukunft für eine Institution wie das Met auf. Seine Geschichte kann es dadurch freilich nicht ändern. Aber es kann und muss versuchen, seinen Platz im aktuellen Kulturdiskurs neu zu bestimmen.

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Quelle:
SZ vom 10.09.2020
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