Süddeutsche Zeitung

Nachruf:Die Welt ist deine Musik

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Vor fünfzig Jahren gründete der kanadische Komponist Raymond Murray Schafer sein World Soundscape Project, das bis heute fortgeführt wird. Am Samstag verstarb er 88-jährig.

Von Helmut Mauró

Als Student flog er wegen seiner Widerspenstigkeit von der University of Toronto in seiner kanadischen Heimat - aber er endete als preisgekrönter Komponist und Klangdenker, der mit Kammermusik ebenso wie mit multimedialen Installationen weltweit auf sich aufmerksam machte: Raymond Murray Schafer, geboren 1933 in Samia, Ontario, war kein einfacher Mensch. Er liebte es, kompliziert zu sein. Er wollte, dass alle Menschen etwas komplizierter seien, dass sie ihr Leben interessanter gestalteten, und zwar vor allem dadurch, dass sie nichts aktiv dazu beitrügen, sondern sich ganz passiv ihrem akustischen Umfeld auslieferten.

Mit seinen Experimenten und Überlegungen zu einer Art akustischer Umweltforschung wurde er berühmt. Dazu prägte er den Begriff der Klanglandschaft ( soundscape). Um sich mit deutschen Minneliedern eingehend zu befassen, lebte Schafer übrigens Mitte der Fünfzigerjahre in Wien, wo er im Jahr 1956 auch die Komposition "Minnelieder, a setting of 13 medieval German poems, for voice and chamber ensemble" abschloss. Der gescheiterte Student lehrte später zudem selbst: 1963 bis 1965 an der Memorial University of Newfoundland, von 1965 bis 1975 an der Simon Fraser University in Burnaby bei Vancouver. Dort initiierte er 1971 das World Soundscape Project, bei dem weltweit Klangumgebungen aufgenommen und erforscht werden sollten. Inzwischen wird das Projekt vom "World Forum for Acoustic Ecology" fortgesetzt .

Der Komponist definierte als erster den Begriff "Klanglandschaft"

Bei diesen Klanglandschaften handle es sich, so definierte Raymond Murray Schafer es in einer Filmdokumentation, um eine beliebige Ansammlung von Klängen, die, vergleichbar dem Aufbau eines Gemäldes, im Grunde eine Sammlung von Reizen sei. Wenn man sein Umfeld akustisch genau beobachte, genauer hinhöre als üblich, dann werde diese Umgebung ziemlich wundersam. Seinen Begriff Soundscape wollte er als die völlige Gleichsetzung von Umweltgeräuschen mit komponierter Musik und komponierten Geräuschen verstanden wissen.

Diese schwellenlose Verbindung von Kunst und Leben hat er auch gelebt. Als immer neugieriger, bis ins hohe Alter kindlich unvoreingenommener hörend schöpferischer Mensch, als künstlerischer Idealtypus. Die Welt, sagte er, sei eigentlich eine einzige große fortwährend stattfindende Komposition. Ohne Anfang und ohne Ende. Wir selber seien die Komponisten dieser großen Komposition, und wir könnten sie verbessern, oder zerstören. "Wir können mehr Geräusche hinzufügen, oder mehr schöne Klänge." Da dachte Schafer dann doch wieder sehr konventionell, sehr gemütlich.

Er lauschte den Vögeln und den Motorengeräuschen einer fernen Autobahn und fand dann aber die Krähen im Wald daneben doch interessanter. Ohne eine naturverbunden romantische Grundhaltung geht dieses Hörkonzept nicht auf. Wenn man aufmerksam lausche und sich umsehe, seine Sinne schärfe, werde das eigene Leben interessanter, sagte Schafer. Künstler seien dazu da, die Menschen zu mehr Aufmerksamkeit zu bewegen. Das sagt sich leichter, wenn man in einem ruhigen großen Haus im kanadischen Hinterland wohnt und nicht in einer Großstadt, in der man sich nichts sehnlicher wünscht, als in einem ruhigen großen Haus im kanadischen Hinterland einfach mal nichts zu hören. Oder nur ein paar Vögel, unterlegt mit sanften Motorengeräuschen einer fernen Autobahn. Wie erst jetzt bekannt wurde, verstarb Murray Schafer bereits am Samstag, den 14. August. Er wurde 88 Jahre alt.

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