Süddeutsche Zeitung

Michi Gaigg dirigiert in Salzburg:Am liebsten nur Bach

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"Das kann kein anderer": Die Choräle des Weihnachtsoratoriums berühren Michi Gaigg auch noch nach 25 Jahren - so lange leitet sie ihr L'Orfeo Barockorchester.

Von Reinhard Brembeck

Ruhig steht die Frau im schwarzen Anzug da, macht nur die nötigsten Gesten, hört intensiv auf ihre Musiker, treibt an, lässt Raum zum Atmen: So dirigiert Michi Gaigg das L'Orfeo Barockorchester, gegründet vor 25 Jahren von ihr und der Oboistin Carin van Heerden, die mit weiteren 24 Musikern und den achtzehn Meistersängern des Salzburger Collegium Vocale auf der Bühne sitzt. Understatement, Handwerkerinnenstolz, Bescheidenheit und Agilität sind Michi Gaiggs Stärken. Das Publikum in der Großen Aula der Salzburger Universität bejubelt die ersten drei Kantaten von Johann Sebastian Bachs "Weihnachtsoratorium", die Gaigg bildhaft klar als eine konzertante dreiaktige Oper präsentiert.

Michi Gaigg kommt vom Attersee unweit von Salzburg, das ist unüberhörbar beim Telefonat ein paar Tage vor dem Konzert: eine milde Frau, die mit einem tiefen, warmen Alt spricht. Wenn sie so antiautoritär auch mit ihren Musikern umgeht, dann versteht man, warum ihr freies Orchester seit 25 Jahren zusammenhält: weil Musizieren dann in Liebe umschlägt. So wie auch die von dem jungen Altisten Alois Mühlbacher gesungenen Arien im "Weihnachtsoratorium" Liebesgedichte sind, zwar an Jesus gerichtet, aber mit der Inbrunst und Erotik eines Liebhabers komponiert. Schon die christlichen Mystiker, allen voran Juan de la Cruz und Teresa von Ávila, haben das so praktiziert wie Bach.

Michi Gaigg dirigiert als Erzählerin

Dirigieren war nie ihr Ziel gewesen. Sie hat Geige gelernt und Kurse bei dem radikalen Musikerneuerer Nikolaus Harnoncourt besucht, noch zu Zeiten, als der mit noch wenigen Studenten zusammen musizierte: "Das war großartig!" Ob sie es leichter gehabt hätte, wenn Harnoncourt eine Frau gewesen wäre? Er zumindest, so die Antwort, hätte es dann "ein bissel schwieriger gehabt", sich mit seinen Ideen im vom Männer betriebenen konservativen Klassikbetrieb durchzusetzen. Michi Gaigg hat Harnoncourts Ideen weiterentwickelt, sie dirigiert also als Erzählerin und setzt ein wenig mehr als der Meister aufs Ensemble. Früher waren Musiker Fußvolk der Maestros, das ist vorbei. Anfangs dirigierte sie mit der Geige in der Hand. Mit Mitte vierzig aber merkte sie, dass sie dem weder geigerisch noch dirigentisch mehr gewachsen war, es war zu kraftraubend, zu anstrengend. So wurde sie zur Dirigentin, die, für Frauen ist das mangels vieler Vorbilder oft schwerer als für Männer, in Körpersprache und Gestik zu einer grandiosen Selbstverständlichkeit und Ungezwungenheit gefunden hat.

Gerade hat Gaigg sich einen großen Wusch erfüllt und Franz Schuberts acht Sinfonien samt den Fragmenten aufgenommen. Schubert ist für sie "unglaublich visionär". Das Album ist der Höhepunkt der mehr als 40 Aufnahmen umfassenden Diskographie der Orfeo-Truppe, in der sich fast nur weltliche Musik findet. Für Geistliches hat oft das Geld nicht gereicht. Orfeo: Der Name ist eine Verehrung des antiken Lyraspielers und Sängers, die Truppe versucht wie Orpheus, "unendlich viele Schattierungen und Farben" zu liefern. Gaigg und die Ihren, wohl nicht zufällig sitzen in diesem von zwei Frauen gegründeten Orchester auffallend viele Frauen, haben die Musikgeschichte sukzessive von 1600 bis ins frühe 19. Jahrhundert durchgespielt. Vielleicht ist deshalb bei jeder Platte ein Staunen zu hören darüber, was durch einen neuen Komponisten möglich wurde.

Schuberts Sinfonien versteht sie als "untextierte Lieder"

So liegt zwischen Schuberts Erster und Zweiter nur ein Jahr, während es für Gaigg ästhetisch gefühlte 20 Jahre sind. Die ersten sechs Sinfonien seien "untextierte Lieder". Für Lieder, für deren Poesie und Sprachgebundenheit, hat Gaigg ein Faible. Das Wienerische, das volkstümlich Tänzerische, die österreichische Volksseele bei Schubert sind ihr vertraut nah. Aber auch die Unvollendete und die riesige C-Dur-Sinfonie klingen bei ihr nach Lied, Volkstanz, Wien. Immer wieder aber schlägt etwas katastrophisch die Welt aus den Angeln Sprengendes durch, Gaigg lässt das unangestrengt spontan aufblitzen.

"Wir", sagt Gaigg, "würden am liebsten nur Bach spielen." Der ist das "Glaubensbekenntnis der Musiker". Bei Proben von dessen h-Moll-Ouvertüre ohne die Soloflöte, war Gaigg überrascht, dass diese Musik auch ohne die Oberstimme funktioniert, die Parallele zu Schuberts untextierten Sinfonieliedern ist offensichtlich. Zentral im Weihnachtsoratorium sind für Gaigg die Choräle, sie gehen direkt zum Herzen. Wegen der genial gesetzten Mittelstimmen: "Das kann kein anderer." Das hört auch das Publikum so und jubelt. Virgil Hartinger, er singt den Evangelisten und im Gegensatz zu den anderen Solisten aber im Einklang mit Bach alle Chorpassagen mit, bedankt sich denn auch bei Publikum fürs Kommen, es sei das schönste Weihnachtsgeschenk.

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